Meinhard Saremba


Leos Janácek

Zeit - Leben - Werk - Wirkung



Bärenreiter-Verlag

Kassel 2001


460 Seiten

gebunden

mit Abbildungen

und zahlreichen Notenbeispielen



BVK 1500

DM 89,-

ISBN 3-7618-1500-X




Janácek, war einer der großen Komponisten - und auch einer der grausamsten.“ (Tyrrell)



Nicht nur für Fachleute, sondern auch für Neugierige und interessierte Laien geschrieben, schildert diese neue, ausgesprochen gut lesbare Janácek-Biographie den Weg eines der größten Musikdramatiker des 20. Jahrhunderts - der zugleich ein fanatischer Nationalist und rücksichtsloser Ehemann mit vielen zweifelhaften Charakterzügen war. Dabei wird ein Blick hinter die Kulissen des „Janácek-Mythos“ gewährt: Der Leser kann miterleben, wie kulturpolitische Meinungsbildung betrieben und Janácek noch zu Lebzeiten zu einem künstlerischen und humanitären Idol aufgebaut wurde.


Das Buch gewährt aber nicht nur neue Einblicke in Janáceks Arbeits- und Privatleben, sondern zeichnet auch ein facettenreiches Portrait seiner Epoche und seines Landes und des Ineinanders von Musikgeschichte, Kulturpolitik und Geistesgeschichte.


In den essayistischen, allgemeinverständlichen Kapiteln zu Janáceks Musik werden die verschiedenen Stationen seiner musikalischen Entwicklung nachgezeichnet und erstmals die enge Wechselwirkung von Janáceks wissenschaftlichen Arbeiten und seinen Kompositionen (ausgehend immer von den lange vernachlässigten Originalfassungen) dargelegt.


Schließlich wird in dieser neuen Biographie auch eine Brücke zur Gegenwart geschlagen: Sie vermittelt vielfältige Einblicke in eine zeitgemäße szenische und musikalische Interpretation der Werke Janáceks.


Mit vielen bisher in Deutschland unveröffentlichten Briefen, Texten und Bildern!



Pressestimmen


„Zeit – Leben – Werk – Wirkung, so lautet der Untertitel des Buches zu Leos Janácek. Ein hoher Anspruch, diese unterschiedlichen Aspekte beleuchten zu wollen. Aber gerade deshalb ist das Buch tatsächlich gelungen. Denn Meinhard Saremba versteht den Komponisten aus seiner Zeit , hinterfragt dessen inszeniertes Selbstbild, durchleuchtet die Schichten, die sich schon zu Lebzeiten um Person und Werk zu ranken begonnen haben. Meinhard Saremba kommt vielleicht nicht zu brandneuen Erkenntnissen, doch sein Buch hat eine sagenhafte Reichweite. Und Saremba sagt in aller Deutlichkeit. Janácek ist ein Solitär in der Musikgeschichte, ein engstirniger Nationalist, ein gefühlskalter Egozentriker, ein unbeherrschter Zwangsneurotiker.“

(Bayerischer Rundfunk, 8. September 2001)


„Darf man so etwas darstellen bei einer Persönlichkeit, die uns ein so humanistisches Werk hinterlassen hat?“

(Rudé Pravo, 25.-26. August 2001)


„Die Biographie von Saremba wird sich als Standardwerk durchsetzen und behaupten.“

(Prager Zeitung, 4. Oktober 2001)


„Sarembas Buch nun gibt einen umfassenden und leicht lesbaren Überblick über Leben und Werk Janáceks. Im Gegensatz zu Vogel (...) und anderen tschechischen Autoren, die sehr zur Verherrlichung neigten, wahrt er kritische Distanz, berichtet von Bewunderswertem wie auch von Verabscheuungswürdigem, beschönigt nichts, bleibt stets objektiv. (...) Die Abschnitte, welche die musikalische Seite behandeln, befinden sich als abgeschlossene Beiträge jeweils am Ende eines Großkapitelsund können von an rein musikalisch-technische Belangen nicht interessierten Lesern ohneweiters übersprungen werden.“

(sandammeer, virtuelle Literaturzeitschrift, April 2002))


„Saremba, bislang durch Arbeiten über britische Komponisten bekannt geworden, geht über seine Vorläufer deutlich hinaus. Er stützt sich auf den jüngsten internationalen Editions- und Forschungsstand (...) Saremba verfügt über ein imponierendes Quellenmaterial, aus dem er ausführlich und mit genauen Nachweisen zitiert (...) Überhaupt baut Saremba manchen Mythos um Janácek ab: psychische Widersprüche des Komponisten kommen genau so zur Sprache wie seine – da tut sich eine Parallele zu Mussorgski auf – an Dilettantismus grenzenden und durch schier unleserliche Handschrift zusätzlich problematischen stil- und satztechnischen Neuerungen. Erhellend in diesem Zusammenhang auch drei im Anhang zu alten Interviews mit dem Komponisten stehenden Gespräche mit den renommierten Janácek-Dirigenten Rafael Kubelik, Charles Mackerras und Gerd Albrecht. (...) Insgesamt zeugt das mit Notenbeispielen, Schwarz-Weiß-Fotos und graphischen Darstellungen angereicherte Buch von einer Sorgfalt der Herstellung, die in diesem von vielen schon als obsolet belächelten Printmedium längst nicht mehr die Regel ist. So entsteht auf sicherem und breiterem Wege als je zuvor in deutscher Sprache ein Bild der Persönlichkeit Leos Janáceks in der nötigen Umriss-Schärfe vor dem Leser.“

(Ulrich Schreiber in Musik aktuell, SWR, 19. April 2002)


„Meinhard Saremba nimmt nun kein Blatt mehr vor den Mund, denn nach der Wende sind diese Rücksichten nicht mehr notwendig. ... Mit vielen Zitaten untermauert, droht die Sicht des Autors manchmal beinah unterzugehen; andrerseits gelingt es ihm sehr gut, die Persönlichkeit in die gesamtgeschichtliche Entwicklung hineinzustellen und so neue Sichtweisen zu ermöglichen. Dieser Janácek gewinnt an neuen Konturen und wird auch in den Querverbindungen zu anderen Komponisten gerechter eingestuft. Sarembas Formulierung 'Der Musiker scheint seiner Zeit eher voraus zu sein als der Mensch' trifft den Sachverhalt völlig richtig, müsste aber nicht im Konjunktiv stehen, denn die Diskrepanz wird überdeutlich, wenn die menschliche Seite dieses Komponistenlebens genauer ausgeleuchtet wird.“

(Mitteilungsblatt der Leos-Janácek-Gesellschaft, Nr. 77, 2001/3).


„Den neuesten Forschungsstand dokumentiert Saremba nicht nur wissenschaftlich untadelig, sondern auch flüssig lesbar, wortgewaltig und sogar unterhaltsam. ... Insgesamt eine konkurrenzlose Publikation mit dem Rang eines Standardwerks der musikhistorischen Biographik.“

(Cantate, September/Oktober 2001)


„Die sachliche und oft spannende Charakterisierung des Menschen Janacek garantiert ein abwechslungsreiches Lesevergnügen.“

(Fono Forum, Dezember 2001)


„... das vielschichtigste Janácek-Portrait, das es derzeit in deutscher Sprache und außerhalb wissenschaftlicher Spezialuntersuchungen gibt.“

(Opernwelt, September/Oktober 2001)






Meinhard Saremba


Leos Janácek

Zeit - Leben - Werk - Wirkung



"Lassen Sie sich ein bisschen von uns deformieren, Meister, und man wird Sie lieben." Es kommt aber der Moment, da der Meister sich weigert, um diesen Preis geliebt zu sein, und es vorzieht, gehasst und verstanden zu werden.

Milan Kundera


Was ihr Theaterleute euere Tradition nennt, das ist nichts anderes als euere Bequemlichkeit und Schlamperei.

Gustav Mahler



Inhaltsübersicht


* Vorbemerkung und Danksagung

* Zeittafel

* Stammbaum der Familie

* Karten


* Leben und Werk


"Zum Bitten zu stolz, zum Fordern zu machtlos" -
Portrait des Künstlers als unbekanntes Wesen


1854-1881 Durch die Schmerzen neu geboren

Trügerische Idylle

Noch nicht ruhmestrunken

In ständig angenehmer Erregung

Das Unbehagen an der Tradition - Janácek und der Stil


1881-1891 Keine Nora, kein Oblomow

Perspektivenwechsel: Zwischen Ehe und Karriere

Zwischen den Fronten - Geburtswehen mit Sárka

...da gärt und lärmt es in der Partitur

"Im Volkslied ist der ganze Mensch" -

Janácek, der Musikethnologe und Künstler


1891-1904 Die stille Revolution

Versuch und Irrtum: Der Anfang einer Romanze

"Fleisch gibt's keines, Hund krepiert!" - Studien eines Opernkomponisten

Seine Tochter, Ihre Stieftochter (Jenufa) und Das Schicksal

Musik der Wahrheit? -

Janáceks Slawophilie und das Wesen der Sprachmelodie


1904-1915 Wir und die Anderen

"...von rohen Mördern erschlagen"

Wie wenn Feuer knistert

Mystik und Utopie

Im Prisma eines dramatischen Geschehens -

Janáceks vokale und instrumentale Dramen


1915-1918 Das Tor zu Leben und Freiheit oder Der Durchbruch

Die schöne Arbeit verpfuscht

Leos' Seitensprünge und Zdenkas Selbstmordversuch

"Es kommt eine neue Zeit" - Die Ausflüge des Herrn Broucek

Ein Blick in die Werkstatt - Janáceks musikalische Individualität


1918-1921 Die "Hochflut" und ein Tribunal ohne Hauptperson

Aus der Feder eines Autodidakten?

Ein volkstümlicher Klugscheißer

Eros und Tod: Katja Kabanowa

Und er erklingt doch! - Janáceks Ästhetik


1921-1928 Die erträgliche Leichtigkeit des Seins

Genau wie die Menschen: Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf

Wir sind nur Dinge und Schatten oder Die Sache Makropulos

Die Cyril-Method-Atmosphäre und die Glagolitische Messe

Erniedrigte und Beleidigte oder Aus einem Totenhaus

"Den Leuten zeigen, wie man mit dem lieben Gott zu reden hat" -

Annäherungen an Janáceks Weltbild




* Dokumente: Janáceks Musikfeuilletons, Aufsätze, Essays

- Das sinnreiche psychologische Wesen der musikalischen Ideen (Prag 1922)

- Vollständige Harmonielehre (Brünn 1913/20, Auszug)

- Interviews mit Janácek (1906-1928)



* Die nachfolgende Generation:

Gespräche mit bedeutenden Interpreten und Forschern

- Rafael Kubelik: "Reden wir nicht über Mozart, reden wir über Janácek..."

- Charles Mackerras: "Wie man einen Mythos erschafft"

- Gerd Albrecht "Schwerste Musik - dennoch kontrollierbar!"



* Chronologisches Werkverzeichnis

* Schlüssel der zitierten Quellen und Literaturhinweise

* Register




Vorbemerkungen


Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera, ein Jahr nach Janáceks Tod als Sohn eines Konservatoriums-Professors in Brünn zur Welt gekommen, führt in seiner Essay-Sammlung Verratene Vermächtnisse zahlreiche Beispiele dafür an, wie viele wichtige Werke aus Musik oder Literatur gegen den Willen ihrer Schöpfer entstellt, verstümmelt oder falsch überliefert worden sind. Dazu gehört vor allem auch noch bis in das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts hinein das Schaffen von Leos Janácek, dessen Opern oft in den alten Übersetzungen ihrer Entstehungszeit und teilweise nur in bearbeiteten musikalischen Fassungen bekannt wurden. Kundera beklagt unter anderem, wie beispielsweise Kafka und vor allem Janácek "durch die Provinzialisierung, die seine Landsleute ihm auferlegt haben" leiden und in die "ästhetische Einsamkeit" gedrängt werden.

Nun kann man selbst heutzutage nicht über Leos Janácek schreiben, ohne seinen großen Förderern und Biografen Max Brod, Jaroslav Vogel und Kurt Honolka Anerkennung auszusprechen für ihre verdienstvollen Leistungen und die wertvollen Grundlagen, die sie für die weitere Beschäftigung mit Janácek gelegt haben. Andererseits zeigt sich aber auch deutlich, dass das 20. Jahrhundert mit Romantisierungen und Bearbeitungen das Bild Janáceks ähnlich verfälscht hat wie das 19. Jahrhundert das Bild Mozarts und Bachs.

Unterdessen hat Janáceks originales Werk vor allem durch die bahnbrechenden Publikationen des englischen Musikwissenschaftlers John Tyrrell und des Dirigenten Charles Mackerras sowie durch die engagierte Förderung der Janácek-Gesellschaft immer mehr Anerkennung gefunden. Doch obwohl der Musiker als einer der Klassiker des 20. Jahrhunderts gewürdigt wird, ist es immer noch erforderlich, einige Gewohnheiten, die den Blick auf Janáceks Schaffen "romantisch" verschleiern, kritisch zu überprüfen und von ihnen Abschied zu nehmen. Dies betrifft zunächst einmal die seit Max Brods deutschen Bearbeitungen unreflektiert übernommene Titelgebung einiger Schlüsselwerke. Doch penetrantes Beharren ist der Kobold kleiner Geister, und die Zeit muss allmählich reif sein, sich an eine wortgetreue Übersetzung der genaueren, viel assoziationsreicheren und weniger beengten Originaltitel zu halten. Und so wird in diesem Buch von Operntiteln wie Der Anfang einer Romanze (statt Der Anfang eines Romans), Ihre Stieftochter (statt Brods Jenufa) und Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf (statt Das schlaue Füchslein) die Rede sein. Die Ferne oder Nähe zum Original ist eine Frage des Zeitgeschmacks: Auch Verdis Oper La Traviata kursierte auf deutschen Bühnen jahrzehntelang als Violetta, während Janáceks Tierfabel in Großbritannien mal als The Sly Vixen, dann wieder als The Cunning Little Vixen auftauchte, bis Michael Ewans in seiner Analyse Janácek's Tragic Operas dem Spuk mit einer Übersetzung des Originaltitels ein Ende machte - in der deutschen Ausgabe von Ewans Studie fand dadurch der korrigierte Titel bereits 1981 Eingang in die deutsche Janácek-Literatur.

Eine weitere Gewohnheit ist die Akzeptanz der alten, bearbeiteten musikalischen Fassungen der Opern, die auch den früheren Supraphon-Einspielungen zu Grunde lagen. Erst Charles Mackerras hat hier seit den siebziger Jahren Abhilfe geschaffen und mustergültige Aufnahmen der großen Werke Janáceks vorgelegt. Zugleich publiziert er zusammen mit John Tyrrell bei der Wiener Universal Edition revidierte Ausgaben der Partituren, während der Kasseler Bärenreiter-Verlag in Zusammenarbeit mit der Prager Edition Supraphon eine kritische Ausgabe derjenigen Werke Janáceks erstellt, die nicht über die Universal Edition vertrieben werden.

Bei Janácek neigte man oft allzu leicht dazu, ihn nur unter dem Blickwinkel des Spätwerks zu betrachten. Jedoch war er keineswegs von Anfang an der "fertige", voll entwickelte Künstler. Um diesen zum Teil mühsamen Reifungsprozess deutlich zu machen, werden in diesem Buch nach jedem Lebensabschnitt die relevanten musikalischen Etappen und ihre Bedeutung für Janáceks Schaffen näher beleuchtet.

Die analytischen Betrachtungen des Musiktheoretikers Janácek durch Michael Beckerman und eine Heidelberger Forschungsgruppe belegen, dass die Wechselwirkung von Janáceks musiktheoretischen Arbeiten und seinen Kompositionen wesentlich bedeutsamer ist als bislang angenommen.

Nicht zuletzt erscheint auch das Bild der Persönlichkeit Janáceks heute in einem anderen Licht. Nachdem Jahrzehnte lang das Bild eines Humanisten gezeichnet wurde, eines von seiner Frau unverstandenen "Edelmenschen", der in seinen späten Jahren von einer inspirierenden Liebe zu einer ignoranten Muse beflügelt wird, erscheint diese Sichtweise heutzutage als die Erfindung der von der Barbarei des Ersten Weltkriegs entsetzten Intellektuellen und derer, die eine neue, unantastbare Ikone der tschechischen Musik schaffen wollten. Die Veröffentlichung der Erinnerungen seiner Ehefrau Zdenka und des Briefwechsels mit Kamila Stösslová zeigen indes, dass Janácek ein überaus zwiespältiger Charakter war.

Für die wertvollen Anregungen und die Unterstützung bei der Arbeit an diesem Buch danke ich ganz besonders Dr. Jakob Knaus, dem Präsidenten der Janácek-Gesellschaft, Sir Charles Mackerras, Prof. John Tyrrell, Prof. Gerd Albrecht und Peter Schneider von der Universität Heidelberg. Nicht zuletzt bin ich vor allem folgenden Damen und Herren für wichtige Hilfen und Hinweise verpflichtet: Sally und Dennis Brown, Jitka Burjanková, Eva Drlíková, Ursula Ellenberger, Kerstin Gebel, Liselotte Homering, Helga Hummel, Kamila Kaufmann, Elisabeth Knessl, Beate Koltzenburg, Loralie Kuntner, Svatava Pribanová, Friederike Ramm, Werner Schembera, Leonhard Scheuch, Wolfgang Schimmel, Jutta Schmoll-Barthel, Eva Sedláková, Heinz Stolba, Thomas Tietze, Blanka Votavová, Paul Wingfield und Christoph Zimmermann.


Meinhard Saremba,

Dezember 2000







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