Sullivans Ivanhoe – die Oper und ihre literarische Vorlage

 

 

von Ulrike Robrahn


[Die Wiedergabe der Forschungsarbeit Ivanhoe als lyrische Oper (Sullivan) und historischer Roman (Scott) unter Berücksichtigung von werkimmanenter Dramaturgie, öffentlicher Rezeption und Institutionsgeschichte“ (Magdeburg 2001) erscheint mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin.]



1. Einleitung


2. Von der historischen Oper zum eklektischen Roman

2.1. Der Musikroman – mehr als nur ein Äquivalent zum Musikdrama

    2.2. Der historische Roman

    2.3. Die eklektische Oper als ein Phänomen der viktorianischen Musik


3. Werkimmanente Dramaturgie

    3.1. Eine vergleichende Analyse des Ivanhoe-Librettos

    3.1.1. Eine vergleichende Betrachtung zwischen dem Libretto-Verlauf und der Romansequenz 3.1.2 Signifikante Differenzen zwischen dem Libretto und seiner Vorlage sowie dessen Auswirkungen auf die Musik

3.2. Charakterisierung der Hauptfiguren

3.2.1. Die Stimmfachverteilungen der Originalbesetzung 3.2.2. Die Problematik der Hauptfigur

    3.3. Detaillierte Analyse der 3. Szene, 2.Akt: Ein Türmchenzimmer in Torquilstone

3.4. Zusammenfassung


4. Öffentliche Rezeption

4.1. Die Rezeption Scotts Ivanhoes

      4.1.1Die Auslösung eines “Mittelalterfiebers”

      Die kritischen Ivanhoe-Rezeptionen unter Berücksichtigung des jeweiligen Zeitgeistes

4.2. Die Rezeption Sullivans Ivanhoe

4.2.1. Der überwältigende Erfolg der Ivanhoe-Oper

4.2.2. Der große Fall nach der ersten Euphorie

    4.2.3. Der Einfluss des Paradigmawechsels der englischen Musik nach 1920 auf die Ivanhoe-Rezeption


5. Institutionsgeschichte

    5.1. Sir Walter Scott – ein Schotte, der zum Engländer wurde?

      1. Der Roman Ivanhoe – Auslöser für Scotts Popularität in England

          Ivanhoe – eine identitätsstiftende Legende

      5.2. Sir Arthur Sullivan – der Liebling der Königin – mit seinen zwei Gesichtern
      5.2.1.Die perfekt geplante Nationaloper Ivanhoe 5.2.2. Ein folgenschwerer Fehler

5.3. Zusammenfassung


6. Schlussbetrachtung


7. Literaturverzeichnis


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    Einleitung

Den meisten Deutschen wird der Name Arthur Sullivan kaum bekannt sein. Diejenigen, die seinen Namen schon einmal gehört haben, kennen ihn meistens nur in Zusammenhang mit dem Librettisten William Schwenck Gilbert, als Verfasser von Operetten/ heiteren Opern. Werke wie The Mikado, The Pirates of Penzance, vielleicht noch The Gondoliers werden ab und zu in Deutschland aufgeführt. Aus dem englischsprachigen Raum wären die Namen Gilbert & Sullivan hingegen nicht mehr wegzudenken. Vor allem in Großbritannien aber auch in den USA gehören die sogenannten Savoy-Opern (eben die Gilbert & Sullivan-Produkte) auch heute noch zum kontinuierlichen Repertoire vieler Musiktheater.

 

Einige wissenschaftliche Bücher wurden über Sullivan, die Person, und Sullivan, den Savoykomponisten, in englischer Sprache veröffentlicht. Zwar sind die Publikationen in deutscher Sprache noch sehr rar, doch wäre es paradox, sich in einer Hausarbeit wie dieser, an ein Thema wie Sullivan, der Savoy-Opernkomponist, heranzuwagen. Vielmehr möchte ich mich in dieser Arbeit mit dem Sullivan beschäftigen, der bislang eher vernachlässigt wurde. Wem ist schon bekannt, dass Sullivan auch eine ernste große Oper geschrieben hat? Bei diesem Werk handelt es sich nicht einfach nur um das einzigartige Produkt, das Sullivan bis zum heutigen Tag als den bedeutendsten viktorianischen Komponisten Englands erscheinen lässt, sondern vielmehr um den großen Traum seines Lebens, der gescheitert ist. In Sullivans Biographien wird diese als romantisch ausgewiesene Oper häufig nur am Rande als Fehlschlag erwähnt oder ganz vernachlässigt. (vgl. u.a. in: Saremba 1993/ Allen 1975/ Sullivan 1950)

Doch verdeutlicht diese Oper viel präziser Sullivans wahre musikalische Identität, in der die Musik ihre eigene Ausdruckskraft entwickeln kann und nicht nur als liebenswerte Beigabe von Gilberts Worten fungiert. In einem Brief äußert sich Sullivan über seine Hoffnungen, die er mit seiner ersten und einzigen großen Oper Ivanhoe verband:

 

I must say that I look upon this opera – Ivanhoe – as the most important work I have yet written. Not only from its magnitude, but also from the strength of the musical work I have put into it. I have endeavoured to be, before all things, dramatic [...] (Sullivan 1950, 208)

In diesem Brief wird deutlich, wie wichtig ihm diese Oper war und welche Bedeutung sie für ihn hatte. Eine wesentliche Aufgabe dieser Arbeit wird es sein, durch die Beschäftigung mit dieser Oper einen kaum er0forschten Blickwinkel auf den beliebten Komponisten zu ermöglichen. Außerdem soll diese Auseinandersetzung Anstoß für weitere wissenschaftliche Forschungen darstellen, vor allem aber möchte ich das Interesse auf eine Wiederaufführung dieser vergessenen Oper richten.

 

In dieser fachübergreifenden musikwissenschaftlichen und englischen literaturwissenschaftlichen Arbeit soll gleichberechtigt neben Sullivan eine weitere britische Person im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Hierbei handelt es sich um den schottischen Schriftsteller Sir Walter Scott, der die literarische Vorlage zu Sullivans Oper lieferte. Scott soll jedoch nicht nur als Autor der Opernvorlage betrachtet, sondern vielmehr in seiner eigenen Zeit porträtiert werden. Diese vergleichende Betrachtungsweise beider Männer und beider Werke ist essentiell für ein Verständnis der Problematik der Oper. Nur eine intensive Behandlung mit Scott und seinem Roman, kann zu einem tatsächlichen Erfassen der Oper Ivanhoe führen, das vor allem bei einer möglichen Wiederaufführung von Bedeutung sein wird.

 

Die Untersuchung der Hypothese, ob Sullivans Entscheidung für Scotts Ivanhoe-Stoff aus heutiger Sicht nachvollziehbar ist oder die Hauptursache für das Scheitern der Oper darstellt, soll im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Diese Frage entwickelte sich aus der Tatsache, dass Scotts Roman schon 70 Jahre Bestandteil der Literaturwelt war, als Sullivan sich entschloss, seine eklektische Oper zu komponieren. Inwieweit dieses Faktum Einfluss auf den Stellenwert der Oper in der Musikwelt hat, wird in dieser Arbeit erforscht. In einer komparatistischen Analyse sollen unter Berücksichtigung werkimmanenter Dramaturgie, öffentlicher Rezeption und Institutionsgeschichte die Oper und der Roman Ivanhoe untersucht werden. Die Darstellung dieser drei Hauptpunkte sollen möglichst viele unterschiedliche und interessante musikgeschichtliche und kulturhistorische Komponenten der Oper und des Romans aufzeigen, gleichzeitig aber auch das Thema in seiner Komplexität eingrenzen.1

 

Bevor das Erkenntnisinteresse der Untersuchung der Werke gelten kann, müssen theoretische Hintergrundinformationen der methodischen Übersichtlichkeit halber erläutert werden. Diese sind in drei Bereiche untergliedert, wobei der erste Bereich (Kap. 2.1.) auf die Verbindung zwischen Oper und Roman abzielt. Es geht hier zunächst darum, die Bedeutung des Ivanhoe-Romans in der Opernwelt herauszustellen. Anschließend werden die These, inwieweit ein Roman eine bessere Opernvorlage repräsentiert als ein Schauspiel, sowie die daraus resultierenden Konsequenzen diskutiert.

 

Im zweiten Bereich (Kap. 2.2.) gilt das Interesse der Person Scott im Hinblick auf seine Popularität als öffentliche Figur sowie seine Bedeutung als Begründer des historischen Romans. An dieser Stelle stehen sein Ansehen in der Öffentlichkeit, aber vor allem in der Literatur im Mittelpunkt der Betrachtung, wobei das Hauptaugenmerk auf das Genre des historischen Romans gelegt wird. Diese Ausführungen sind für ein wirkliches Verständnis Scotts Popularität auch zu Sullivans Zeiten relevant.

 

Der dritte Bereich (Kap. 2.3.) wendet sich dem Phänomen Sullivans eklektischer Oper zu. Neben der Begriffsklärung steht vor allem die Bedeutung eines solchen Projekts für die englische Musikwelt des 19. Jahrhunderts im Vordergrund.

 

Im ersten Kapitel des Hauptteils dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt auf der werkimmanenten Dramaturgie. Dieser Abschnitt untergliedert sich in drei Teilabschnitte, wobei der erste Punkt (Kap. 3.1.) auf eine vergleichende Analyse zwischen dem Libretto und der Romanvorlage abzielt. Hier sollen vor allem die augenscheinlichen Gemeinsamkeiten beider Werke aufgeführt werden, um dann die nicht so offensichtlichen Unterschiede und die sich daraus ergebenen Konsequenzen für die Oper untersuchen zu können.

 

Der zweite Teilabschnitt (Kap. 3.2.) beschäftigt sich mit der Charakterisierung der Hauptfiguren vor dem Hintergrund der einzelnen Stimmgattungen der Sänger. Diese sind vor allem für das wahre Verständnis der Opernaufführung von Bedeutung sowie als Hilfestellung für Besetzungsfragen bei möglichen Wiederaufführungen der Oper von großer Relevanz. Im Abschluss dieser Charakterisierung sollen einige Komplikationen der Hauptperson Ivanhoe aufgeführt werden, die sich aus dem Libretto ergeben. Diese Problematik ist weiterhin ein wichtiger Aspekt, der bei einer möglichen Wiederaufführung Beachtung finden muss.

 

Der letzte Abschnitt (Kap. 3.3.) konzentriert sich auf eine detaillierte Analyse der 3. Szene des 2. Aktes. Hierbei handelt es sich um eine exemplarische Darstellung einer Szene der Oper, wobei diese Darstellung einen komparatistischen Ansatz aufweist. Allerdings wird keine komplette Interpretation bis ins letzte Detail angestrebt, diese bliebe jeweils einer monographischen Studie vorbehalten, sondern es wird versucht, stets das Erlangen grundlegender exemplarischer und ausbaufähiger Ergebnisse darzustellen.

 

Bei der Untersuchung der werkimmanenten Dramaturgie wird generell auf die komparatis­tische Methode zurückgegriffen, ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Vielmehr soll sie als Ansatzpunkt für detailliertere Analysen fungieren. Auch ein Vergleich mit anderen Opern dieser Zeit wird in dieser Arbeit außer Betracht gelassen, da hier das Hauptaugenmerk auf die vergleichende Betrachtung von Oper und Roman Ivanhoe gelegt wird. Dennoch wäre die Frage nach musikalischen Einflüssen auf Sullivans Oper sowie eine komplette Analyse der Oper sehr aufschlussreich. Dies kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht realisiert werden.

 

Der zweite Hauptabschnitt widmet sich der öffentlichen Aufnahme beider Werke. Zunächst (Kap. 4.1.1.) werden die positiven Rezeptionen von Scotts Ivanhoe untersucht, dessen Veröffentlichung ein wahres “Mittelalterfieber” ausgelöst haben soll. Anschließend (Kap. 4.1.2.) werden die unterschiedlichen Reaktionen auf den Roman unter Berücksichtigung des jeweiligen Zeitgeistes betrachtet. An dieser Stelle wird untersucht, inwieweit sich Scotts Reputation im Laufe der Jahrzehnte veränderte. Dabei ist besonders interessant, welchen Stellenwert Scott in der öffentlichen Leserwelt zu Sullivans Zeiten einnahm, da Scotts Popularität an dieser Stelle großen Einfluss auf Sullivans Oper haben könnte.

 

Im zweiten Teil zur öffentlichen Rezeption (Kap. 4.2.) gilt das Interesse der Oper Sullivans. Hier soll untersucht werden, ob die Oper Ivanhoe ein geplanter Erfolg war, deren Vorankündigungen die euphorischen Premiererezeptionen quasi herausforderten. Nachdem die positiven Rezeptionen betrachtet wurden, liegt das Hauptaugenmerk auf den wachsenden kritischen Stimmen, die bis hin zum Fehlschlag der Oper führten. An dieser Stelle soll vor allem die Frage im Mittelpunkt stehen, inwieweit unqualifizierte Aufführungen die Verantwortung für den Misserfolg der Oper tragen. Den Abschluss dieses Hauptteiles bildet die Frage, inwiefern ein Paradigmawechsel in der englischen Musik Einfluss auf die Ivanhoe- Rezeption hatte. Diese Ausführung versucht vor allem, eine Erklärung für das Ausbleiben gegenwärtiger Aufführungen zu finden.

 

Den Schlussteil dieser Arbeit (Kap. 5.) bildet das Kapitel Institutionsgeschichte, in der die Frage nach der nationalen Identität im Vordergrund stehen soll. Sowohl Scott als auch Sullivan gelten als englische Repräsentanten ihrer Zeit. Dieser Aspekt scheint besonders vor dem Hintergrund ihrer Herkunft von großem Interesse zu sein, denn Scott war geborener Schotte und Sullivan irisch-italienischer Abstammung. Bevor Sullivans Oper Berücksichtigung findet, soll Scotts Ivanhoe als eine identitätsstiftende Legende untersucht werden. Außerdem wird an dieser Stelle analysiert, inwieweit der Ivanhoe-Roman Auslöser für Scotts englischen Repräsentantenstatus war.

 

Der letzte Punkt in diesem Abschnitt versucht aufzuzeigen, ob auch Sullivan seine eigene Identität für ein Leben im Luxus aufgab, wobei er mit seiner Oper Ivanhoe endlich wieder zu sich selbst finden wollte. Warum dieser Traum jedoch scheiterte und was die möglichen Ursachen für das Scheitern dieser Oper waren, soll hier untersucht werden.2

 

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2. Vom historischen Roman zur eklektischen Oper

Der historische Roman sowie die eklektische Oper sind im Großbritannien des 19. Jahrhunderts entstandene Phänomene. Beide Erscheinungen sind das Resultat einer ständig wachsenden industriellen und modernisierten Gesellschaft. (vgl. Saremba 1993/ Seeber 1993) Es gilt nun zu untersuchen, was den Komponisten Sullivan am Ende des 19. Jahrhunderts dazu veranlasste, den am Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenen historischen Roman als Grundlage seines von ihm als ´eklektische Oper der Zukunft´ ausgewiesenen Werkes, zu wählen. Diese Analyse kann nur vor dem Hintergrund der Darstellung einer vorherrschenden Popularität historischer Romane in der Opern- sowie in der Literaturwelt entwickelt werden.



2.1. Der Musikroman - mehr als ein Äquivalent zum Musikdrama

Anything can be set to music, true, but not everything will be effective.

Guiseppe Verdi


Bevor die Popularität des historischen Romans in der Literatur analysiert wird, die besonders für das Verständnis von Sullivans Entscheidung, seine eklektische Oper auf der Grundlage eines historischen Romans zu komponieren, von Bedeutung ist, schließt sich an dieser Stelle zunächst eine kritische Betrachtung der Rolle des Romans in der Opernwelt an. Abgeleitet vom Musikdrama bezeichnet nicht nur Hofmannsthal die Adaption eines Romans als eine Art von Musikroman. (vgl. Conrad 1977, 122)

 

Die Realisierung eines Musikromans lässt sich vor allem in den unzähligen Adaptionen des erfolgreichen Romanschriftstellers Sir Walter Scott finden. Komponisten wie Gioacchino Rossini (Ivanhoé 1826), Heinrich Marschner (Der Templer und die Jüdin 1829), Giovanni Pavini (Ivanhoe 1832), Otto Nicolai (Il Templario 1840) oder Barto­lomeo Pisari (Rebecca 1865) sind nur einige, die sich wie Sullvian mit dem Ivanhoe-Roman auseinandersetzten. Jedoch wurden auch andere Scott-Romane von bekannten Komponisten

 

wie Vincenzo Bellini (I Puritani)3, Gaetano Donizetti (Lucia di Lammermoor)3, Georges Bizet (La Jolie Fille de Perth)5, Balfe (The Talisman)6 und anderen bearbeitet. Die Vielzahl dieser Musikromankomponisten und ihre Opern sind nachzulesen in Jerome Mitchells Buch The Walter Scott Operas von 1977, dessen Ergänzungsband von 1996 eine weitere Bestätigung für Scotts Popularität verkörpert. Nun stellt sich die Frage, warum besonders Scotts historische Romane von vielen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts als Opernthema bevorzugt wurden. Die Antwort sieht Jerome Mitchell in den bildlichen Elementen, die Scott benutzt. Seine Beschreibungen von prunkvoll dekorierten Räumen, pittoresken Landschaften, dunklen Wäldern oder Kampfhandlungen in Schlössern und Ruinen, sowie die Einbeziehung von unzähligen Menschen sind ebenso Elemente der Oper. “A situation in Scott is either eminently operative in itself or easily alterable into something operatic.” (Mitchell 1996, 287)

 

Auch die Times nimmt in einer Kritik vom 2. Februar 1891 Stellung zu Scotts Beliebtheit in der Opernwelt. Wie auch Mitchell sieht der Kolumnist in Scotts Romanen einen guten Opernstoff, der sich leicht adaptieren lässt. In seiner Kritik konzentriert er sich aber vor allem auf Scotts Ivanhoe-Bearbeitungen:

 

Scott´s immortal romance has always had special attractions for opera composers, and the reason is very easily found; the picturesque costumes, the atmosphere of chivalry and of free forest life and certain eminent dramatic situations more than make up for the obvious want of unity and central interest in the story itself [...] (Times, 2. Februar 1891, 5)

 

Die Opernwelt des 19. Jahrhunderts adaptiert allerdings nicht nur die Romane von Scott. Sie bedient sich aus dem Repertoire der gesamten literarischen Gattungen und belebt sie mit Musik. Bei diesen Gattungen handelt es sich um Märchen, Dramen, Kurzgeschichten oder Romane. Die Oper ist darüber hinaus nicht nur mit der Literatur eng verwandt, sondern kann als eine Vereinigung aller Künste bezeichnet werden. “The opera-house was the place where all the arts met: not only music, but poetry, painting, architecture and dance.” (Dent 1976, 5) Das Hauptinteresse liegt an dieser Stelle jedoch in der Verbindung von Oper und Literatur.

 

Gary Schmidgal ist der Ansicht, dass nicht alle literarischen Genres geeignetes Material für eine Oper hergeben, sondern auch einige Voraussetzungen erfüllen müssen, die Ferruccio Busoni folgendermaßen beschreibt: “What I desire from an opera text is not only that it conjures up music, but that it allows room for it to expand.” (zit. nach Schmidgal 1977, 14) Busoni warnt mit seiner Äußerung davor, dass die Oper niemals zum Sklaven der Literatur erniedrigt werden darf, sondern ihren eigenständigen Charakter entwickeln muss. Deshalb ist die Auswahl eines geeigneten literarischen Textes Grundvoraussetzung für die Eigenständigkeit einer Oper. Eine ungeeignete Opernliteratur ist jene, die nur durch sprachliche Ausdruckskraft überzeugt, wohingegen eine gute Oper sichtbare Emotionen, Beziehungen, Bewegungen und Sensationen erfordert. Schmidgal sieht den wichtigsten Bestandteil einer guten Oper in ausdrucksstarken leidenschaftlichen Charakteren. (vgl. Schmidgal 1977, 20). Leidenschaftlichkeit ist das Wesen des Theaters und es ist jene Eigenschaft, die das Publikum bei einem Opernbesuch erwartet.

Die Schwierigkeit beim Schreiben einer Oper liegt nicht allein in der Auswahl eines geeigneten Textes. Berlioz fasst die Schwierigkeit eines Komponisten wie folgt zusammen:

 

The real problem lies in finding the means of being expressive and true without ceasing to be a musician, and to find new ways of making music dramatic. (zit. nach Schmidgal 1977, 13)

Der wichtigste Gehalt einer guten Oper liegt demzufolge in der Dramatik der Musik. Diese Dramatik kann aber nur entstehen, wenn sie auch im Opernlibretto vorhanden ist. Die Komponisten müssen erkennen, wo in jedem Text das Opernrelevante enthalten ist und diese Stellen dramaturgisch anpassen.

 

Als bekanntester und wegweisender Komponist einer solchen Dramatik gilt Richard Wagner. Er zeigte der Musikwelt eine neue Wirkung zwischen dem Drama und der Oper auf, indem er mit seinen Musikdramen ein neues Genre schuf, das die Weiterentwicklung der Oper vorantrieb. Dieser Bedeutsamkeit stehen aber Kritiker wie Dahlhaus und Conrad gegenüber, die das Musikdrama anfechten. Die Differenzen des Musikdramas, dessen Libretto einem Schauspiel entnommen wurde, zur Oper seien zu beträchtlich, als dass sie zusammenpassen könnten. Conrad beurteilt Wagners Vorliebe für das Musikdrama sogar als den größten machbaren Fehler. (vgl. Conrad 1977, 112)

 

Dahlhaus und Conrad begründen ihre Kritik am Musikdrama mit der Aussage, dass die Oper einem Schauspiel niemals vollkommen gerecht werden kann. Dies bestätigt sich hauptsächlich an den unterschiedlichen Zeitstrukturen von Oper und Schauspiel. “Der kontinuierlichen Zeit im Schauspiel steht eine diskontinuierliche in der Oper gegenüber.” (Dahlhaus (2) 1989, 28) Conrad sieht in der Verbindung von Oper und Schauspiel, sogar eine Zerstörung des Schauspiels. “Opera has reduced drama to a final piti­able absurdity.” (Conrad 1977, 112) Das Wesen des Schauspiels wird in der Oper bis zur Unkenntlichkeit missbraucht und verliert damit seinen ursprünglichen Charakter. Dahlhaus schwächt eine harte Kritik wie diese jedoch ab, indem er sagt:

 

Es genügt nicht, die Librettistik als einen Parasiten der Dichtungsgeschichte zu betrachten, also lediglich den größeren oder geringeren Schaden abzuschätzen, der einem Schauspiel oder einer Erzählung widerfährt, wenn sich die Oper des Stoffs und des Handlungsgerüstes bemächtigt. (Dahlhaus (2) 1989, 52)

 

Er fordert weiterhin, dass die Wissenschaft, die davon ausgeht, dass nur die Musik von der Literatur profitiere, umdenken solle. Dahlhaus widerspricht jenem Vorurteil und verlangt, dass die Literatur von der Musik lernen und profitieren müsse.

 

Resultierend aus der Divergenz zwischen Drama und Oper stimmt auch Dahlhaus den Kritikern Conrad und Hofmannsthal zu, dass die Oper, “[...] wenn man Zeitstrukturen analysiert, unversehens aus der Nähe des Schauspiels in die des Romans [...]” rückt. “Ähnlich wie in epischer Dichtung gehört in der Oper die Präsenz eines Erzählers, der die Vorgänge lenkt, durchaus zum ästhetischen Sachverhalt.” (Dahlhaus (2) 1989, 29) Hofmannsthal geht sogar soweit, dass er die Oper generell eher als eine Art von Musik­roman und nicht als Musikdrama definieren würde. Dieser Definition stimmt Conrad mit seiner Aussage “[...] that music and drama are dubious, even antagonistic, partners and that opera´s actual literary analogue is the novel.” (Conrad 1977, 1) zu. Somit erhebt Conrad den Roman zum einzigen gleichberechtigten Partner der Oper und degradiert zugleich alle anderen literarischen Gattungen zu zweitrangigen Partnern. Er verurteilt also nicht nur das Musikdrama, sondern auch alle anderen Opern, die eine andere literarische Gattung als den Roman adaptieren. Er begründet seine Meinung vor allem mit der Limitierung des Dramas auf das Außenleben der Charaktere, wohingegen der Roman auch das Innenleben der Charaktere mit ihren Wünschen und Motiven berücksichtigt. Diese Beschreibung des Innenlebens der Charaktere ist ein Synonym der Oper, die vor allem in Arien ihre Umsetzung findet. Es ist jedoch anzuzweifeln, dass sich das Drama auf das Außenleben der Charaktere beschränkt, ist anzuzweifeln. In der Literaturgeschichte lassen sich einige Dramen finden, in denen das Innenleben der Charaktere durch Monologe dargestellt wird. Als Beispiel wäre an dieser Stelle Shakespeares Hamlet zu nennen, der mit seinem weltbekannten Monolog To be or not to be seine Gefühle zum Ausdruck bringt. Weitere Dramenschriftsteller ließen sich finden, was jedoch an dieser Stelle zu weit führen würde.

 

Die Aussage von Conrad, dass der Roman die eigentliche literarische Analogie zur Oper sei, kann aber trotzdem als eine wichtige Erklärung der Popularität Sir Walter Scotts in der Opernwelt dienen. Komponisten haben Scotts Werke als Libretto gewählt, weil die Romane schon an sich etwas opernhaftes besitzen, beziehungsweise leicht in eine Oper umzuwandeln sind. Eine weitere Begründung der Beliebtheit seiner Werke in der Opernwelt geht vor allem aus seinem Einfluss in der Literaturwelt hervor. Seinen Stellenwert als bedeutendster historischer Romanschriftsteller konnte er bis zum heutigen Tage behaupten. Scott, der nicht nur zu Lebzeiten ein anerkannter Historiker und Schriftsteller war, wird aus heutiger Sicht als “[...] ein europäisches Ereignis, das lange nachwirkt.” (Seeber 1993, 265), bezeichnet.

 

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2.2. Der historische Roman

Die Literatur existiert nicht im luftleeren Raum. Der Schriftsteller übt als solcher eine bestimmte soziale Funktion aus, die genau im Verhältnis zu seiner Fähigkeit als Schriftsteller steht.

Ezra Pound



Scott, dessen Wirkungskraft auch in der Musikwelt zu spüren ist, wird in Englische Literaturgeschichte, als “der Erfinder des historischen Romans” (Seeber 1993, S.265) angesehen. Als typisch historische Romane werden vor allem seine “[...] in der nahen schottisch-englischen Geschichte angesiedelten Waverley-Romane” (ebd.) betrachtet. In diesen Romanen spiegelt er die jüngere Geschichte eines im gesellschaftlichen und politischen Umbruch befindlichen schottischen Volkes des 18. Jahrhunderts wider. Die Vereinigung der beiden Königreiche Schottland und England im Jahre 1707 beinhaltet nicht nur einen positiven gesellschaftlichen und technischen Wandel. Sie bedeutet gleichzeitig auch einen Verlust der traditionellen schottischen Lebensart durch Modernisierungserfahrungen. (vgl. entsprechende Kap. in: Seeber 1993)

 

Scotts Bedeutung als Schöpfer der Waverley-Romane ist unumstritten. Mit ihnen hat er ein eigenes Genre begründet, das viele Nachahmer fand. In Scotts erfolgreichem Mittelalterroman Ivanhoe (1819) kritisiert Seeber jedoch eine fehlende “[...] überzeugende Verankerung der Romangestalten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit” (Seeber 1993, 268). Trotz geschichtlich nachweisbarer Gestalten wie Richard Löwenherz, Robin Hood, Little John und Prinz John gelänge es Scott nicht, authentisch überzeugende Dialoge herzustellen, wie er es bei seinen Waverley-Romanen erfolgreich verwirklichen konnte. Dennoch wurde Ivanhoe wie auch seine Waverley-Romane zum Welterfolg.

 

Scott war allerdings nicht der erste Literarhistoriker, der sich mit dem Mittelalter befasste. Der Grundgedanke einer literarhistorischen Quellenforschung wurde in Europa schon im 16. Jahrhundert formuliert, die primär auf mittelalterliche Manuskripte aus Klöstern und Kirchen basierten. Es handelte sich dabei größtenteils um religiöse Gelehrte, die sich mit der angelsächsischen Geschichte auseinandersetzten. Vor dem Hintergrund der Reformation wollten sie die Kontinuität auf kirchlicher und konstitutioneller Ebene aufzeigen. Im 18. Jahrhundert gab es einige Literaturhistoriker, die sich gleichfalls mit dieser mittelalterlichen Vergangenheit beschäftigten. Sie legten ihr Hauptaugenmerk auf einen Bereich, den ihre Vorgänger bisher vernachlässigt hatten. Ihr Interesse galt den Dramen Shakespeares sowie den Balladen und Gedichten von Spenser und Milton. Literarhistoriker wie Thomas Percy, Thomas Warton, Joseph Ritson, George Ellis und Sir Walter Scott waren die wichtigsten Wiederentdecker der englischen mittelalterlichen Literatur. (vgl. Pritzkuleit 1991, 18/19)

 

Sir Walter Scott kann bewiesenermaßen nicht als erster und einziger Schriftsteller von Mittelalterromanen bezeichnet werden, dennoch waren es seine Leistungen, die diesem Genre zu Popularität in ganz Europa verhalfen. Scott war so präsent und maßgebend, dass wir teilweise noch heute das Mittelalter durch seine Augen sehen. Mit seinen historischen Romanen war er der erste britische Romanschriftsteller, der durch das Schreiben zu Reichtum gelangte. Seine Erfolge in der Literaturgeschichte sind so bedeutend, dass er für die nachfolgende Schriftstellergeneration zu einer Art Vaterfigur wurde:

In purely literary terms he created the modern historical novel, which aims to get inside past age and see it in its own terms. In his own time he made the novel respectable and novel-writing a potentially well-paid if uncertain profession – achievements which make him the father-figure of Dickens, George Eliot and other literary giants of the 19th century. (Weton 1986/87, 496)

 

Diese Erfolge Scotts lassen sich nur unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Umstände in Europa erklären. In einer sich beschleunigenden Zeit, “[...] die den Zeitgenossen der Französischen Revolution, der industriellen Revolution und der napoleonischen Wirren die Relativität des Hier und Jetzt deutlich vor Augen führt” (Seeber 1993, 266), bieten Scotts Romane eine Zuflucht aus der harten Realität in eine Illusionswelt der Vergangenheit. In dieser Welt gibt es noch Helden, die das Böse besiegen und das Gute im Menschen hervorbringen. Scott konnte die Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit durch seine Geschichten befriedigen. Harry Shaw beschreibt die Funktion eines erfolgreichen historischen Romans und der Aufgabe eines historischen Romanschreibers, die Scott in allen Punkten erfüllt:

The historical novel, by contrast, attempts to reconstruct a world, to particularise, to catch a glimpse of human nature [...] The task of the historical novelist is to render the unique ´atmosphere´ of an age in the past, to ´recapture the fleeting moment´. (Shaw 1983, 25)

Die Leser wollten nicht nur in eine Illusionswelt geführt werden, sondern vor allem an tristen Winterabenden unterhalten werden. In einer Zeit ohne Fernsehgerät war das Lesen von Romanen die beliebteste Freizeitbeschäftigung. Diese Romane bestanden jedoch nicht nur aus einem Band, sondern aus drei Bänden, die auch als three-deckers bezeichnet wurden. Der Verfasser eines three-deckers brauchte jedoch ganz andere Fähigkeiten als ein Schreiber von Kurzgeschichten oder einbändigen Romanen. Was einen erfolgreichen three-decker-Autor auszeichnet, beschreibt Donald Low wie folgt:

 

Instead of creating a single episode and, say, three or four characters, he constructed a story with more than one narrative thread and several natural climaxes, and peopled it with a large number of varied characters [...] To succeed, he had to please by the sheer range of his story-telling art. Above all, he needed creative energy and inventiveness, because his readers looked to him to supply an entertaining and exciting tale, and lively, well-drawn characters capable of holding their interest. (Low 1980, 35)

 

Scott hat diese Voraussetzungen eines guten three-decker-Romanschriftstellers in seinem Ivanhoe-Klassiker berücksichtigt und umgesetzt. Er wusste genau, wie er das Publikum in seinen Bann ziehen konnte und hat diese manipulierende Methode bewusst in seinen Romanen eingesetzt. Die Leser mussten in der Lage sein, die Sprache und Handlungen der Romanfiguren zu verstehen und nachzuvollziehen. Deshalb übersetzt ein guter historischer Romanschriftsteller sein Thema immer in jene Sprache, in der er selbst lebt, wie Scott selbst erklärte. (vgl. Low 1980, 59)

 

Ungeachtet der Popularität Scotts ist Shaw der Meinung, dass historische Romane kein eignenes Genre für sich beanspruchen können. Einerseits begründet er dies mit der Tatsache, dass eigentlich nur Sir Walter Scott durch diese Art zu schreiben Berühmtheit erlangte, und zum anderen lässt sich der historische Roman in zwei kleinere Gruppen aufspalten. Diese zwei Untergruppen bezeichnet Shaw als realistic novel und fictional novel. Dieses Urteil lässt sich angesichts der Wirkung von und des Einfluss´ auf die Literatur- und Musikwelt nur schwer akzeptieren. Der historische Roman, der Generationen von Schriftstellern und Komponisten inspirierte und Leser unterschiedlicher Schichten und Nationen begeisterte und noch heute begeistert, muss ein eigenes Genre für sich in Anspruch nehmen können, denn er geht in der Unterscheidung von realistic und fictional novel nicht auf.

 

Die große Bedeutung Scotts für die Literaturwelt liegt also einerseits in seiner Begründung eines neuen Genres, nämlich der des historischen Romans, und andererseits in seiner öffentlichen Popularität als Schriftsteller. Durch ihn wurde der Romancier zu einem respektablen Beruf, dessen Leistungen sogar von der königlichen Familie anerkannt und verehrt wurden. Scott wurde somit zum Leitbild vieler nachfolgender Künstler.

 

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2.3. Die eklektische Oper als ein Phänomen der viktorianischen Zeit

Es gibt zwei von Grund auf verschiedene Arten berühmter Leute: solche die man kennt, und solche, die man kennen soll.

Robert Musil

Vor dem Hintergrund Scotts Bedeutung in der Opern- und Literaturwelt erscheint es nicht verwunderlich, dass sich auch der bedeutendste englische viktorianische Komponist Sir Arthur Sullivan von Scotts Einfallsreichtum inspirieren ließ. Der erfolgreiche Roman Ivanhoe war bereits vor 70 Jahren veröffentlicht, als sich Sullivan dazu entschloss, aus diesem Stoff seine Oper zu komponieren. Es war der Traum eines Genies, die Oper seines Lebens. Sullivan wollte eine ernste zukunftsweisende eklektische Oper schaffen, und er entschied sich für Sir Walter Scotts historisches Sujet als Libretto. Die Idee zu einer solchen eklektischen Oper entstand vor allem aufgrund der vorherrschenden Umstände in der viktorianischen Musikwelt, die Sullivan dazu veranlasste, seine Oper der Zukunft zu komponieren.

 

In Europa konnte die Musikwelt bereits an der Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts erkennen, dass sich die Oper mitten in einem Zustand schwerwiegender Umwandlungen befand. Es bildeten sich auf dem geistigen Boden der Romantik neue Operntypen heraus, die in erster Linie durch ihre Nationalitäten bestimmt waren. Die Opera seria und die Tragédie lyrique verkörperten dabei die typisch italienische beziehungsweise französische Geisteshaltung.

 

Auch in Deutschland vollzog sich in dieser Zeit ein Wandel, der besonders von Komponisten wie Weber, Marschner und später Wagner gekennzeichnet war. Deutschland konnte sich aus dem Schatten der beiden alten Opernländer Italien und Frankreich befreien und in der Nachfolge Wagners sogar eine beherrschende Stellung in der Opernwelt erobern.

 

In dieser Zeit, in der Italien, Frankreich und Deutschland um die musikalische Vormachtstellung rangen, wurde die Briten, ein “Volk ohne Musik” (Saremba 1993, 3), wie es häufig abfällig genannt wurde, mit kontinentaler Musik überschüttet. Im Laufe des 19. Jahrhunderts machte sich London bereit, eine der exklusivsten Musikhauptstädte der Welt zu werden. In dieser Metropole behielt die italienische Oper das Vorrecht, so dass selbst die Engländer die wahre Oper nur mit einem italienischen Text annahmen:

 

Until the 1880s ´opera´ and ´Italian opera´ were virtually synonymous in fashionable circles, and a series of operas in Italian was seen as an essential part of the London season. (Sadie 1989, 224)

 

Deutsche Opernkomponisten wie vor allem Mozart, Weber und später Wagner waren bei dem englischen Publikum angesehene Künstler. Ihre französischen Konkurrenten waren unter anderen Bizet und die Operettenkomponisten Offenbach und Lecocq. Aus dem beliebten Opernland Italien wurden besonders die Werke von Verdi, Bellini, Mercadante und Rossini bewundert. Diese und andere Komponisten vom Kontinent konnten sich einen Namen in der englischen Hauptstadt machen. Dagegen waren Opern in englischer Sprache sowie Übersetzungen ins Englische von der Öffentlichkeit weniger geschätzt.

 

Englische Opernkomponisten dieser Zeit waren Henry Bishop, der besonders am Anfang des 19. Jahrhunderts wirkte, sowie Barnett, Loder und Balfe, die in der Mitte des selben Jahrhunderts bekannt wurden. Von ihnen war hauptsächlich Balfe innerhalb und auch außerhalb Englands ein anerkannter und einflussreicher Komponist. Der Erfolg seiner Opern beeinflusste die Entwicklung einer englisch romantischen Opernschule in den folgenden 30 Jahren.

 

Die typisch englische romantische Oper bestand vorwiegend aus Adaptionen französischer oder deutscher Schauspiele, Opern oder Balletts, deren Verlauf das Publikum schon kannte. Die meisten dieser Opern spielten in der Zeit des Rittertums oder in einer halb magischen Welt der Phantasie, deren Geschichten sich aus übertriebenen Darbietungen von Heldentum, Liebe, Eifersucht und Ehre zusammensetzten.

 

In dieser von ausländischen Opern beeinflussten Zeit, gab es einige angagierte Komponisten und Musikmanager, die sich um die Verbreitung einer Tradition von englischen Opern bemühten. “[...] the most important of these were the English Opera, at the Lyceum Theatre (1834-41); the Pyne-Harrison company and its successor, the Royal English Opera (1856-64); the Carl Rosa touring company (founded 1875); and, of course, Richard D´Oyly Carte´s collaboration with Gilbert and Sullivan (also beginning in 1875).” (Sadie 1989, 225)

 

Mit ihrer Zusammenarbeit verkörperten der Komponisten Sir Arthur Sullivan und der Textdichter William S. Gilbert das erfolgreichste und berühmteste englische Kompositionsduo der viktorianischen Ära. Ihre Savoy-Opern, wie ihre Werke in der Umgangssprache genannt werden, wurden zum Markenzeichen einer typisch englischen Musiktradition. Sie gelten in der Geschichte der englischen Oper als eines der wertvollsten theatralischen Besitztümer aller Zeiten, und sie haben sich eine sichere Nische in der englischen Opernsammlung redlich verdient. (vgl. White 1983, 322) Ihren durchschlagenden Erfolg in der Musikwelt begründet Jim Samson in der Kombination mitunter bekannter und beliebter Musikelemente:

 

The famous collaboration of W.S. Gilbert and Arthur Sullivan brought together elements that had already enjoyed some success with London audiences: burlesque theatre and French operetta, the latter hitherto represented mainly by the work of Jacques Offenbach. (Samson 1991, 283)

Der öffentlich bekannte und geliebte Sullivan setzte sich insbesondere für die Entwicklung einer englischen Operntradition ein. Er hatte klare Vorstellungen davon, wie die große englische Oper der Zukunft aussehen sollte. Schon im Jahre 1885 definierte er in einem Interview mit der San Francisco Chronicle die Oper der Zukunft:

 

The opera of the future is a compromise. I have thought and worked and toiled and dreamt of it. Not the French school, with its gaudy and tinsel tunes, its lambent lights and shades, its theatrical effects and clap-trap; not the Wagnerian school with its mysticism and unreal sentiment; not the Italian school with its fanatistic airs and fioriture and far-fetched effects. It is a compromise between these three – a sort of eclectic school, a selection of the merits of each one. I myself will attempt to produce a grand opera of this new school. (San Francisco Chronicle 1885)

 

Sullivan hatte die Zustände im Londoner Opernleben genau erkannt und auf ihre negativen Seiten hingewiesen: Nicht die französischen, italienischen oder deutschen Opern konnten England als Musiknation bekannt machen, sondern Opern, die von englischsprachigen Komponisten über englische Themen komponiert wurden. Er sah sich in dieser Beziehung verpflichtet, eine beispielhafte Oper unter seinen selbst formulierten Konditionen zu komponieren. Bei seiner eigenen eklektischen Oper der Zukunft entschied er sich für Scotts Ivanhoe als Textvorlage, weil er in der Geschichte Englands die wahre nationale Identität seines Landes sah. Auf das Problem der nationalen Identität wird im 5. Kapitel noch genauer eingegangen.

 

Der Komponist einer eklektischen Oper versucht, sich die Vorteile aus den erfolgreichen Vorbildern zu Nutze zu machen, und übernimmt diese, ohne dabei die eigene Identität aufgeben zu müssen. Das Resultat eines solchen eklektischen Verfahrens scheint das Rezept einer perfekten Oper zu sein, deren Erfolg garantiert ist. Der Ivanhoe-Stoff wurde vor Sullivans Versuch schon mehrere Male von verschiedenen Komponisten benutzt. Das bekannteste Produkt war auch dem Komponisten Sullivan nicht unbekannt. Der deutsche Komponist Marschner konnte mit seiner Oper Der Templer und die Jüdin große Erfolge aufweisen. Diese Vorgänger von Ivanhoe-Opern waren für das eklektische Verfahren nicht unbedeutend.

Sullivan sah in der Idee einer eklektischen Oper den Schlüssel zum Erfolg. England könnte wieder jene musikalische Vormachtstellung einnehmen, die es in der elisabe­thanischen Zeit innehatte. Den Wunsch nach einer ernsten Oper verfolgte Sir Arthur Sullivan schon seit 1864, als er basierend auf Shakespeares Cymbeline eine große Oper erschaffen wollte, die jedoch nie in die Realität umgesetzt wurde. (vgl. Jacobs 1992, 50) Es war ihm bewusst, dass Gilbert und er mit ihren komischen Opern Geschichte schreiben würden, jedoch strebte er nach Höherem. Er wollte als Komponist ernst genommen werden und seine Genialität unter Beweis stellen. Dies konnte er jedoch nur mit einer großen eklektischen Oper erreichen:

In it [Ivanhoe] he foresaw the liberation of his theatrical music from the supposed clamps of Gilbert. (Jacobs 1992, 313)

 

Sullivan erkannte aber auch, dass es nicht nur an den englischen Komponisten selbst lag, England wieder als Musiknation Anerkennung zu verschaffen, sondern auch an den Menschen, die diese Musik würdigen und verstehen sollten. In einer Rede Über Musik in Birmingham von 1888 machte Sullivan genau auf dieses Problem aufmerksam:

I would now only urge you to use all your efforts to restore her to that proud position. The means lie in education. We must be educated to appreciate, and appreciation must come before production. Give us intelligent and educated listeners and we should produce composers and performers of corresponding worth...We want [i.e. we need] good listeners rather than indifferent performers. (Jacobs 1992, 281)

 

Sullivans Ivanhoe wäre demzufolge in der Lage, die nationale Idee Englands würdig zu vertreten: Dieser historische Roman enthält Charaktere aus allen sozialen Schichten und aus Fleisch und Blut. Die Grundvoraussetzungen einer eklektischen Oper waren hiermit gegeben. An dieser Stelle muss noch einmal darauf hingewiesen werden, welche Bedeutung Sir Walter Scott in der Literatur- und Opernwelt auch noch zu Sullivans Zeiten innehatte, um eine wahre Erklärung für Sullivans Entscheidung zu geben. In- wieweit Sullivan seinen Traum einer eklektischen Oper auch verwirklichen konnte, wird an anderer Stelle dieser Arbeit näher untersucht.

 

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3. Werkimmanente Dramaturgie

Es vergingen fünf Jahre bis Sir Arthur Sullivan seine im San Francisco Chronicle angekündigte eklektische Oper der Zukunft in die Realität umsetzte. Im oft bearbeiteten Scott-Roman Ivanhoe fand Sullivan seine gewünschte Handlung, die Charaktere aus ´Fleisch und Blut´ enthält, mit menschlichen Gefühlen und menschlichen Leidenschaften. (vgl. San Francisco Chronicle 1885) Das Thema des Romans erschien ihm mit seinem englischen Hintergrund als ideale Vorlage für eine englische Nationaloper.

Sir Arthur entschied sich auf Empfehlung Gilberts für den Librettisten Julian Sturgis, einen gebürtigen Amerikaner, der fünf Jahre zuvor sein erster Libretto Nadeshda für den Komponisten Arthur G. Thomas fertigstellte. Sullivan war von Sturgis´ Ivanhoe-Libretto, das vor allem die Haupthandlung des Romans widerspiegelt, begeistert, wie auch Stan Meares herausstellt: “Indeed it seems that the whole concept suited Sullivan´s ideas of presenting a historical, patriotic work which would reflect the literary and musical tastes of the London public.” (Sullivan Society 1990, 11) Die Zusammenarbeit der Künstler an der Oper war sehr intensiv, und abgesehen von kleineren Veränderungen übernahm Sullivan das von Sturgis entwickelte Libretto. Sullivan schreibt über ihre Zusammenarbeit in sein Tagebuch: “Worked with him at all sorts of details in the opera. [...] He is quick at seizing my meaning, and falls into it with kindly readiness.” (Sullivan 1950, 205)

Resultierend aus dieser engen Zusammenarbeit an der Oper ist das Libretto zu gleichen Teilen das Werk von Sturgis wie auch von Sullivan. Alle Kritikpunkte gegen das Libretto gelten demzufolge äquivalent dem Librettisten sowie dem Komponisten, da sich beide am Produkt beteiligten und es akzeptierten. Sullivan und Sturgis konzentrierten sich bei ihrem Libretto nicht auf einen bestimmten Aspekt im Roman, wie es zum Beispiel Marschner in seiner Oper Der Templer und die Jüdin demonstrierte, sondern übernahmen den Haupthandlungsstrang des gesamten Romans Turnier von Ashby, Torquilstone und Tempelstowe.

 

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3.1. Eine vergleichende Analyse des Ivanhoe - Librettos

Die Musik ist die allermächtigste aller Künste, sie hat eine schnellere und freiere Logik als die des gesprochenen Gedankens, und eine viel beredetere.

Guiseppe Verdi



Bevor das von Julian Sturgis verfasste Ivanhoe-Libretto analysiert werden kann, muss zunächst einmal das Libretto als ein eigenständiges literarisches Phänomen definiert werden. Das Libretto fand seinen Anfang mit der Aufführung von Iacopo Peris Dafne (1598) und fasst unter der Rubrik ,Libretti´ sinnvollerweise Texte von Opern, Operetten und Musicals zusammen. (vgl. Gier 1998, 5) Als Libretto bezeichnet Albert Gier demnach jeden vertonbaren dramatischen Text und gibt fünf wesentliche Merkmale an, die als Erklärungsversuch für das Wesen des Librettos gelten sollen: Das erste Merkmal des Operntextes ist ihre Kürze, da der in Musik gesetzte Text, etwa dreimal soviel an Zeitdauer ausfüllt, als der gesprochene Text. So wird sichergestellt, dass eine durchschnittliche Oper nicht länger als drei Stunden dauert, Ausnahmen wie Wagners Meistersänger gibt es natürlich auch hier. Eine zweite Eigenheit der Gattung Libretto ist die unter anderem von Carl Dahlhaus als diskontinuierliche Zeitstruktur beschriebenes Phänomen der Oper, die der kontinuierlichen Zeit im Schauspiel gegenübersteht. (vgl. Kapitel 2.1.) Während das Rezitativ sich dem realen Sprechtempo zumindest annähert, wird der Zeitverlauf in der Arie im Extremfall bis zum Stillstand gedehnt. Als weiteres Merkmal des Librettos beschreibt Gier die Selbstständigkeit der Teile innerhalb des Werkes. (1998, 10) Die Oper besteht aus weitgehend statischen Einzelbildern, die dem Zeitgesetz nicht unterworfen sind, in sich aber geschlossene Einheiten bilden. Die Kontraststruktur wird als viertes Merkmal aufgeführt, wobei eine eher statische Kontraststruktur der Oper einer eher dynamischen Konfliktstruktur des Dramas gegenübersteht (1998, 9). Das Primat des Wahrnehmbaren führt Gier als letztes seiner fünf formulierten Merkmale des Librettos an. “Nicht das Sichtbare, sondern das Wahrnehmbare scheint die Substanz des Librettos wie der Oper zu sein.” (Gier 1998, 14) In der Oper sprechen die Charaktere aus, was sie empfinden und werden dabei von der Musik unterstützt.

 

Obwohl Gier an dieser Stelle dem Libretto bestimmte Merkmale zuordnet, gehen die Ansichten der Libretto-Forschung ein wenig auseinander. Auf der einen Seite stehen die Erkenntnisse einer normativ wertenden Libretto-Forschung, die dem Libretto nur eine minimalistische Funktion zugestehen, da die Handlung und die Musik wichtiger sind als die Worte der Oper. Auf der anderen Seite gibt es die deskriptive Libretto-Forschung für die Gier zwei mögliche Verfahrensweisen sieht. Sie kann einerseits komparatistisch vorgehen, z.B. einen Operntext mit seiner unmittelbaren literarischen Vorlage vergleichen, oder sie geht sozial- bzw. mentalitätsgeschichtlich vor und konzentriert sich dabei vor allem auf die geschichtliche Betrachtung des Gegenstandes. (1998, 11)

 

Das Hauptproblem einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise sieht nicht nur Beck in dem interdisziplinären Charakter des Librettos. (vgl. Beck 1997, 11) Das Libretto stellt nun einmal lediglich das textliche Substrat, das der Vertonung dient, dar. Erst durch die Komposition erhält es nach Labussek seine Berechtigung und kann bis dahin nur als Teil eines angestrebten Ganzen interpretiert werden. (vgl. Labussek 1994, 10) Das angestrebte Ganze ist die Verbindung von Theater-, Literatur- und Musikwissenschaft, die als Grundlage für eine wahre Opernanalyse gesehen werden kann.

 

Da dem Thema dieser Arbeit eher ein komparatistischer Ansatz zu Grunde liegt, wird sich die dramaturgische Untersuchung der Sullivan-Oper an der komparatistischen Libretto-Forschung orientieren.

 

Der erste Bereich dieser Analyse zielt auf die vergleichende Darstellung zwischen dem Libretto und seiner Vorlage ab. Es geht hier zunächst darum, die Beziehung zwischen dem Libretto und dem Roman tabellarisch aufzuzeigen.

Im zweiten Abschnitt gilt das Interesse der Auswertung möglicher Erkenntnisse aus der Darstellung der tabellarischen Gegenüberstellung. Hierbei wird das Hauptaugenmerk auf mögliche Unterschiede der beiden Werke gelegt und die daraus resultierenden möglichen Konsequenzen für die Oper analysiert.

Der dritte Teil ist der Charakterisierung der Hauptfiguren gewidmet. Dabei werden die Stimmgattungen der einzelnen Sänger von besonderem Interesse sein, unter weiteren Berücksichtigung des Bezugs zum Roman.

Der letzte Abschnitt beinhaltet eine genaue Analyse einer Szene. Exemplarisch wird an dieser Stelle die 3. Szene des 2. Aktes detailliert, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit, untersucht. Die Entscheidung diese Szene zu untersuchen, resultiert aus der Würdigung von vielen Kritikern als qualifizierteste Szene der Oper. Die ausführliche Analyse der gesamten Oper wird in dieser Arbeit außer Betracht gelassen, diese bleibe jeweils einer monographischen Studie vorbehalten. Auch der Vergleich mit anderen Opern dieser Zeit kann in dieser Arbeit nicht verwirklicht werden, da es vom komperatistischen Ansatz mit der Romanvorlage abweicht und deshalb nicht Aufgabenstellung dieser Arbeit sein kann.

 

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3.1.1. Eine vergleichende Betrachtung zwischen dem Libretto-Verlauf und der

Romansequenz

Der Vergleich des Opernlibrettos mit der Romanvorlagewird in Form einer Tabelle angestellt.

 

3.1.2. Signifikante Differenzen zwischen dem Libretto und seiner Vorlage sowie

dessen Auswirkungen auf die Musik

Auf den ersten Blick mag eine vergleichende Analyse von Scotts Roman und Sullivans Oper wenig ergiebig erscheinen. Das Libretto folgt dem Roman nicht nur Szene für Szene, bietet also nicht nur eine Adaption des Stoffes, sondern darüber hinaus der dramaturgischen Gesamtstruktur der Vorlage. Anders als Marschner versucht Sturgis in seinem Libretto, die drei Hauptereignisse der Romanvorlage, das Turnier von Ashby, Torquilstone und Tempelstowe zu übernehmen. Marschner konzentrierte sich in seiner Oper hauptsächlich auf die Beziehung zwischen Rebecca und Bois-Guilbert. Abgesehen von Kürzungen einiger Nebencharaktere wie Athelstane, Wamba, Gurth und Reginald Front-de-Boeuf, versuchen Sullivan und Sturgis den Gesamteindruck von Scotts farbenfrohen Roman beizubehalten.

 

Tatsächlich schärfen aber gerade diese zunächst identisch wirkenden Werke den Blick für die unterschiedlichen ästhetischen Positionen. Diese textliche Anlehnung an Scotts Vorlage birgt einen gehobeneren Anspruch an die musikalischen Konsequenzen, die sich aus einer solchen Adaption ergeben. Bei genauerer Betrachtung existieren in fast jeder Szene Teile, die nicht dem Roman entstammen. Hierbei handelt es sich allerdings oftmals um Arien, die den Figuren ihre Identität verleihen und daher ein wichtiger Bestandteil der Opern sind. Fast jede Szene beginnt mit der Arie einer Hauptfigur, in der sie sich vertrauensvoll an ihre Mitmenschen, an das Publikum wendet, dem sie ihre Gedanken und Gefühle verdeutlicht und ihre Beziehung zu den anderen Figuren erklärt. (vgl. Beck 1997, 86) Die Tradition der Oper sieht es vor, für die Protagonisten Arien- bzw. Soloszenen bereitzustellen. Diesem Zwang musste sich auch Sturgis beugen und die Gedanken der Hauptpersonen selbst entwickeln, da Scott dem Innenleben seiner Charaktere in seinem Roman keine Bedeutung schenkte.

 

Ein Hilfsmittel, dessen sich Sullivan bemächtigte, sind die reichen Kontraste in der Musik, bei denen sich die heiteren mit den tragischen sowie die situationskomischen mit den epischen abwechseln. Um interessante räumliche Kontraste in der Oper zu kreieren, wechseln sich die Szenen der Außenwelt mit den Innenräumen der Burgen und Hütten ständig ab. (vgl. Heinsen 1992, 14) Die erste Szene der Oper im Schloss Rotherwood beginnt und endet beispielsweise in C-Dur, unterstützt von einem beeindruckenden Ensemble. Auch die letzte Szene dieses 1. Aktes, das Turnier von Ashby, beinhaltet ein großes Szenarium mit spannenden Kämpfen und großen Gesten. Diese Szene beginnt sehr imposant mit einem Orchesterausbruch in Es-Dur und endet mit dem Plantagenesta-Chor in G-Dur. Die zweite Szene ist hingegen eine sehr intimes Bild, das sich schnell in Richtung A-Moll entwickelt, dann über E-Moll im C-Moll abschließt und auf diese Weise eine Verbindung zur ersten Szene, die in C-Dur endet, herstellt. In diesem intimen Bild treten nur Ivanhoe, Rowena sowohl am Schluss auch Isaac auf. Der Vergleich mit dem Arrangement im 2. und 3. Akt weist eine Ähnlichkeit in der Reihenfolge der kontrastreichen Szenen auf.

 

Allerdings wird dieser Rhythmus in der unlogischen Reihenfolge im zweiten Akt unterbrochen, was einen oft genannten Kritikpunkt der Oper darstellt. Im Original­skript folgte die Waldszene auf die erste Torquilstone Szene, nicht umgekehrt. Es erscheint unlogisch, dass Locksley die Gefangenschaft Cedrics und dessen Leute ankündigt, bevor diese sich in Torquilstone befinden. Die Umbauarbeiten zwischen den einzelnen Szenen hätten offenbar zu zu langen Pausen geführt, die wahrscheinlich von dem Regisseur der Originalaufführung Hugh Moss als ungünstig empfunden wurden und der höchstwahrscheinlich diese unbefriedigende Reihenfolge forderte.

Warum Sullivan eine solch widerspruchsvolle Aufeinanderfolge zuließ, lässt sich nur vermuten. Stan Meares erklärt es damit, dass Sullivan zu jener Zeit durch zu viele andere Probleme abgehalten wurde, sich mit bühnentechnischen Problemen auseinanderzusetzen. Sir Arthur befand sich nicht nur gerade inmitten des berühmt gewordenen Teppichstreit7 mit Gilbert, sondern war außerdem mit der Fertigstellung seiner Oper in Verzug geraten und schuldete Carte nun eine Abfindungssumme von 3000 Pfund. Bei einer möglichen Wiederaufführung sollte die Originalidee jedoch aufgegriffen werden, um den Rhythmus beizubehalten.

Die räumlichen Kontraste auf der Handlungsebene, werden durch Kontraste in der Musik unterstützt. Hierbei verwendet Sullivan für die Außenszenen vorwiegend heitere Klangräume wie D-Dur, G-Dur und F-Dur, während er in den Innenraumszenen eher dunklere Tonfarben bevorzugt. Für die solistischen und mehr persönlichen Innenraumszenen benutzt Sullivan häufig interessante chromatische Harmonien, um die zwischenmenschlichen Beziehungen der Charaktere zu intensivieren. Ein Beispiel dafür ist vor allem das Duett zwischen Rebecca und dem Templer am Ende des 2. Aktes. Heinsen sieht darin den Gegensatz “zwischen der reinen Natur und der intrigenreichen Menschenwelt des Rittertums.” (Heinsen 1992, 14) Auf diese Szene wird im Abschnitt 3.3. noch detaillierter eingegangen.

 

Da sich Sturgis in seinem Libretto auf den Haupthandlungsstrang des Romans bezieht, lässt er Handlungen mit einfließen, die im Roman erst an späterer Stelle zum Tragen kommen, für das Gesamtverständnis aber von Bedeutung sind. Deutlich wird dies in fast jeder Szene; die allererste Szene soll an dieser Stelle als Beispiel dienen. In dieser Szene bezieht sich Sturgis hauptsächlich auf die Kapitel drei bis fünf. Am Ende der Szene greift er jedoch schon vor und erzählt von dem Komplott zwischen de Bracy und dem Tempelritter, die den gleichen Plan im Roman erst im fünfzehnten Kapitel schmieden. Da das fünfzehnte Kapitel ansonsten keine Bedeutung für die Oper hat, fügte Sturgis diesen Teil schon früher ein. Auf diese Weise gelang es ihm, den 44 Kapitel langen Roman, auf 16 Kapitel zu kürzen, und er konnte gleichzeitig Scott gerecht werden. Die Notwendigkeit des Kürzens liegt im Wesen des Librettos selbst. “Sprache im Libretto ist semantisch und syntaktisch auf Struktur und Wirkungsweise von Musik und Szene hin konzipiert”, (Beck 1997, 35) hat daher grundsätzlich eine Reduktion auf das Wesentliche zur Folge.

 

Für das Kürzen auf 16 Kapitel verwendete Sturgis neben dem Vorgreifen von Ereignissen noch eine andere Methode. Besonders deutlich werden diese Kürzungen beim Tunier von Ashby (1. Akt, 3. Szene), wo der erste Tag des Turniers ausgelassen wird. Der Chor übernimmt dabei die Funktion des Erzählers und beschreibt in einer Art Berichterstattung den Ablauf des Vortages. Eine weitere Kürzung erfolgt bei der Stürmung von Torquilstone (3. Akt, 1. Szene), wo der Kampf bei Scott mehrere Stunden währt, Sturgis ihn hingegen nur dreißig Minuten andauern lässt.

Neben dem Vorgreifen und den Kürzungen von Ereignissen in der Oper vertauscht Sturgis teilweise auch die Reihenfolge bestimmter Begebenheiten. Für diese Methode soll wieder ein Beispiel aus der ersten Szene als Exempel stehen. Anders als im Roman erscheint der Jude Isaac vor den Normannen auf Rotherwood und bittet Cedric um einen Schlafplatz für die Nacht. Dadurch wird Isaac in dieser Szene eher in den Hintergrund gestellt und nicht zum Mittelpunkt spottender Normannen degradiert, wie er es bei Scott erfahren muss.

 

Das Sturgis die Charaktere in seinem Libretto anders behandelt, als Scott in seinem Roman, wird besonders an der eher blassen und faden Rowena-Figur erkennbar. Während sie bei Scotts erpresserischen de Bracy vor lauter Angst tränenüberströmt zusammenbricht, bleibt ihr diese peinliche Situation in der Oper erspart. Sturgis änderte diese Szene (2. Akt, 2. Szene), indem er Cedric bei der Erpressung als Beschützer Rowenas agieren lässt. Auch andere Stellen der Oper zeigen, dass Sturgis versucht, der unscheinbaren Rowena mehr Glanz zu verschaffen.

Ein detaillierter Blick auf das zunächst identisch wirkende Libretto brachte eine unterschiedliche ästhetische Position zwischen dem Roman und seiner Adaption zum Vorschein. Diese Unterschiede beruhen auf geringfügigen Veränderungen, die sich erst bei einer exakten Analyse herausstellen. Die Hauptdifferenzen bestehen vor allem in dem offensichtlich kürzeren Libretto und den sich daraus ergebenen Konsequenzen. Diese Konsequenzen sind unter anderen minimale Veränderungen in der Reihenfolge der Ereignisse, eine unterschiedliche Behandlung der Charaktere sowie ein eher auf die optische Wirkung ausgerichtetes Szenario. Auch in der folgenden Charakterisierung der Hauptfiguren, sowie in der daran anschließenden detaillierten Analyse einer Szene der Oper wird die Vorlage des Librettos nie gänzlich außer Acht gelassen.

 

 

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3.2. Charakterisierung der Hauptfiguren

Die aufschlussreichsten Erkenntnisse über den zugewiesenen Charakter jeder einzelnen Hauptfigur ergibt sich aus der vom Komponisten selbst vorgegebenen Stimmlagenverteilung. Auffallend bei Ivanhoe ist an dieser Stelle die unverkennbare Anlehnung an die italienische Oper, denn die Figurenkonstellation Ivanhoe - Tenor, Rowena - Sopran, Rebecca - Sopran, Sir Brain de Bois Guilbert - Bariton, König Richard - Bass, Isaac -Bass, Bruder Tuck - Bass, Ulrica - Mezzo, Prinz John - Bariton, de Bracy - Tenor, Cedric - Bariton und Locksley - Bariton folgen der traditionellen Fachverteilung in Held, Liebste, Bösewicht und Schurke. Schon hier wird klar, dass Sullivan keine neuartigen Stimmverteilungen vornahm, sondern sich traditionellen Vorgaben anpasste. Wichtig ist ebenfalls zu erwähnen, dass ein “[...]Opernbuch eine generelle ´Verschiebung der Figuren [...] ins Arche- und Prototypische, Sinnbild- und Urbildhafte´” (Beck 1997, 100) vornimmt. Diese Aussage verdeutlicht, dass die Konzentration auf das Wesentliche in einem Libretto klischeehafte, Schwarz-weiß Charaktere zur Folge hat.

 

Interessanter als die einfache Betrachtung der Stimmlagen ist die schwierigere Frage nach der Stimmfachverteilung der einzelnen Sänger in der Originalbesetzung. Erst sie geben der Figur ihren wahren Charakter, da beispielsweise ein dramatischer Ivanhoe eine viel männlichere, eindrucksvollere Ausstrahlung erzeugt, als ein lyrischer Tenor mit seiner weichen beweglichen Stimme. Leider gibt es keine Aufzeichnungen darüber, welche Stimmfachverteilung Sullivan für die einzelnen Charaktere in seiner Oper vorsah. Deshalb kann nur über eine Betrachtung des Repertoires der Sänger der Originalbesetzung eine zufriedenstellende Lösung des Problems gefunden werden.

 

Wie in The Anthenaeum nachzulesen ist, engagierte D´Oyly Carte die Sänger für die einzelnen Figuren, was jedoch nicht ausschließt, dass Sullivan seine Wünsche für das Engagement der einzelnen Sänger nicht auch äußerte. Damit eine tägliche Aufführung gewährleistet war, wurden die Hauptrollen doppelt besetzt. Die Mehrheit der Sänger in den Nebenrollen hatte jedoch nur wenig oder gar keine Bühnenerfahrung, was sich laut The Anthenaeum in den schauspielerischen Leistungen einiger Sänger bemerkbar machte. Die Auflistung der Stimmfächer der Hauptfiguren in der Originalbesetzung soll als Hilfestellung für Besetzungsfragen bei einer möglichen Wiederaufführung Sullivans einziger ernster Oper dienen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Stimmfachverteilung der Originalbesetzung am ehesten Sullivans Verständnis der Charaktere widerspiegelt. Die Informationen zu den Sängern der Originalbesetzung wurden hauptsächlich aus dem Großen Sängerlexikon von K.J. Kutsch und L. Riemens entnommen. Einige Hinweise stammen jedoch von hilfsbereiten Auskünften einiger Sullivan-Freunde des SAVOYNETS.8


3.2.1. Die Stimmfachverteilungen der Originalbesetzung

Der bekannteste Sänger des Ensembles zur Zeit der Aufführung war der Ivanhoe-Darsteller Ben Davies, ein sehr geschätzter englischer Tenor seiner Zeit, mit hervorragend schöner Stimme von besonderem Nuancenreichtum des Vortrages (vgl. Sängerlexikon 1997, 791), der nach seinen Ivanhoe-Auftritten häufig mit dem Komponisten Elgar zusammenarbeitete. Sein Debüt gab er als The Captain of the Guard in The Bohemian Girl. Diese Figur verlangt eigentlich eine Baritonstimme, was darauf schließen lässt, dass Ben Davies keine hohe lyrische Tenorstimme besaß, sondern eher eine dramatische, die sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe einen kraftvollen Ton erzeugen konnte.

 

Die zweite Titelrollenbesetzung hatte der irische Sänger Joseph O´Mara inne, der in dieser Partie debütierte. Er feierte später große Erfolge als Titelheld in Hoffmanns Erzählungen, der einen jugendlichen Heldentenor verlangt. O´Mara galt als vortrefflicher Wagner-Interpret, doch enthielt sein umfangreiches Repertoire mehr als 70 Bühnenrollen. Seine Stimme schien metallische Züge zu tragen, die ebenso lyrische Partien wie auch dramatische Höhepunkte gestalten konnte, die vor allem in Wagner-Stücken gefordert wurden.

 

Beide Ivanhoe-Interpreten besaßen anscheinend eine eher ins dramatische tendierende Stimme, die den Heldenstatus von Sullivans Hauptfigur unterstreichen sollte. Sullivan beabsichtigte offenbar bewusst, die Ivanhoe-Figur mit einem dramatischen Tenor zu besetzen und nicht mit einem lyrischen, dessen weiche Stimme den wahren Charakter von Ivanhoe nicht hätte erfassen können. Diese Tatsache sollte bei einer möglichen Wiederaufführung der Oper Berücksichtigung finden, wenn der Titelrolle Gerechtigkeit widerfahren soll.

 

Für die Partie der Rowena engagierte Carte die Amerikanerin Esther Palliser, die im Jahr zuvor die Rolle der Gianetta in der Operette The Gondoliers von Gilbert und Sullivan übernahm. Ihre späteren Rollen suggerieren, dass sie eine eher dramatische Stimme besaß, die auch in der Tiefe sicher sein musste, da sie Rollen wie Carmen, Santuzza in Cavalleria rusticana oder Brangäne im Tristan bewältigte. Ob dieses Stimmfach den Charakter der Rowena wirklich wiedergeben konnte, sei dahingestellt, jedoch erhielt die eher fade Rowena-Figur von Scott durch den Einsatz einer dramatischen Sopranstimme bei Sullivan einen interessanteren und durchsetzungsfähigeren Charaker.

 

Für die Figur der Rebecca entschied sich Sullivan persönlich für die schottische Sopranistin Margaret MacIntyre, die sich in der Rolle der Micaela in Carmen und in der Partie der Gräfin im Figaro 1888 einen Namen machte. Sullivan wählte diese Sängerin aus, als er sie 1889 beim Festival in Leeds singen hörte. Höchstwahrscheinlich war bei diesem Entschluss aber vor allem auch die Optik von Frau MacIntyre entscheidend, denn sie verkörperte mit ihren langen dunklen Haaren und braunen Augen, die exotisch aussehende Schönheit, die er sich für die Rebecca-Figur vorstellte. Nachdem Margaret MacIntyre in Ivanhoe die Rebecca gestaltete, galten vor allem ihre dramatischen Bühnenrollen in Wagner-Opern als ihre erfolgreichsten. Außer in ihrer Rolle als Michaela, die eine lyrische Stimme verlangt, sang sie vorrangig dramatische Charaktere, wie die Elisabeth in Tannenhäuser, die Donna Elvira im Don Giovanni und die Senta im Fliegenden Holländer. Die Tatsache, das die Sopranistin Margaret MacIntyre vor allem in wagner´schen Bühnenwerken Erfolg hatte, lässt darauf schließen, dass sie ein großes Stimmvolumen mit dramatischer Durchschlagskraft besaß. Mit dieser Fähigkeit war sie in der Lage, der Rebecca Figur die starke und durchsetzungsfähige Persönlichkeit zu verleihen, mit der auch Scott sie ausstattete.

 

Die zweite Besetzung der Rebecca Partie übernahm die amerikanische Sopranistin Lucille Hill. Diese Rolle stellte gleichzeitig ihre erste große Bühnenrolle dar. In ihren anschließenden Figuren sang sie hauptsächlich Personen wie die Königin Marguerite in den Hugenotten, die Marguerite in Faust, die Elisabeth im Tannhäuser oder die Leonore im Troubadour, was einen dramatischen Koloratursopran bzw. einen jugendlich-dramatischen Sopran erfordert. Dies ist die Bestätigung dafür, dass Sullivan für die Rebecca-Figur eine dramatische Sopranstimme, die aber auch lyrisch interpretieren kann, favorisierte. Lucille Hill entwickelte sich zu einer berühmten Sopranistin ihrer Zeit mit einer kraftvollen, wunderschönen Stimme, der es jedoch an schauspielerischem Talent mangelte.

 

Die Rolle des Cedrics sang der wallisische Bariton David Ffrangcon-Davies, der seine erste Opernerfahrung 1890 als Herrufer in Lohengrin sammelte. Diese Rolle entspricht ein Heldenbariton, welcher ein schweres, ausladendes Organ mit strahlender Höhe, aber auch gut ausgeglichener, tragfähiger mittleren und tiefen Lage besitzen sollte. Für die Figur des Cedric bedeutet dies, dass diese Partie entweder von einem Heldenbariton oder einem hohen Bass zu besetzen ist.

 

Der in New York geborene Eugéne Oudin sang im Ivanhoe die Rolle des Templers. Diese Partie war sein erstes Engagement in London, wo er sich dann auch niederließ. 1892 verkörperte er in der englischen Erstaufführung von Tschaikowskys Eugen Onegin den Titelhelden, zu dem ein Kavalierbariton gehört. Er überzeugte außerdem als Wolfram im Tannenhäuser, als Telramund im Lohengrin und als Albert im Werther. Seine Rollen in Wagner erwecken eher den Eindruck eines tieferen Baritons, der sowohl lyrische als auch dramatische Stellen problemlos gestalten kann. Als Templer muss der Sänger in der Lage sein, das tyrannische Wesen dieser Rolle zu kreieren, aber trotzdem die lyrischen Momente mit schöner Linie auszuformen.

 

Ein Beispiel für die Bühnenunerfahrenheit einiger Sänger der Originalbesetzung stellt der englische Sänger Richard Green dar, der sein Debüt im Ivanhoe mit der Rolle des Prinzen John gab. Er war ein enger Freund von Henry Wood und sang den Du de Longueville in La Basoche, den Tommy Merton in The Vicar of Bray und den Sir George Vernon in Haddon Hall, jedoch erhielt er keine großen Engagements in seiner Karriere.

 

Die Charaktere in einer Oper werden also einerseits von den Stimmlagen, denen sie zugeordnet werden, beeinflusst, andererseits aber vor allem von den individuellen Stimmfächern, die bei jedem Sänger einzigartig sind. Einmalig sind auch die schauspielerischen und gesanglichen Qualitäten der unterschiedlichen Sänger, die mit ihrem Können die Opernfiguren darstellen und mitgestalten. So konnte Lucille Hill, die Zweitbesetzung für die Figur der Rebecca, gesanglich das Publikum in ihrer Rolle zwar begeistern, im schauspielerischen Bereich fehlte es ihr jedoch an Überzeugungskraft und Margaret MacIntyre bekam daher größeren Zuspruch.

 

Die Erkenntnisse, die aus diesem Kapitel gewonnen wurden, sind sehr bedeutend für ein wahres Verständnis der Hauptcharaktere der Oper. Bei der Besetzungsfrage einer möglichen Wiederaufführung von Ivanhoe sollten die Figuren wie folgt besetzt werden: Ivanhoe - dramatischer Tenor, Rowena - dramatische Sopranstimme mit lyrischen Nuancenreichtum, Rebecca – dramatischer Sopran, Cedric - Heldenbariton oder ein hoher Bass, Templer - tiefer Bariton, mit sowohl lyrischem als auch dramatischem Akzent. Leider war es nicht möglich, die Stimmfachverteilung der fehlenden Sänger der Originalbesetzung herauszufinden, wobei die Hauptfiguren der Oper charakterisiert werden konnten.



3.2.2. Die Problematik der Hauptfigur

Eine weitere Form der Charakterisierung einzelner Personen der Oper realisierte Sullivan durch musiktechnische Mittel wie motivische, rhythmische, harmonische oder melodische Besonderheiten, die er für jede Hauptfigur individuell einsetzte. Eine sehr ausführliche und detaillierte Analyse dieser Zuordnungen beschreibt Martin Yates in der Broschüre der Sir Arthur Sullivan Society von 1990. Er stellt zudem heraus, dass Rebecca und der Templer sowohl im Roman als auch in der Oper die dominierenden Charaktere sind. Der eindrucksvollste und dramatischste Augenblick der Oper stellt das Duett mit Templer und Rebecca im 2. Akt, 3. Szene dar. Diese Szene wird im Anschluss noch genauer betrachtet.

 

Die von Scott als eher passiv vorgegebene Hauptfigur Ivanhoe versuchte Sullivan auszugleichen, indem er ihm sowohl heldenhafte als auch lyrische Züge verlieh. Außerdem komponierte Sullivan für Ivanhoe und auch für Rowena die schönsten Melodien der Oper. Beispiele dafür sind Rowenas Arie O moon, art thou clad (1. Akt, 2. Szene) und das darauf folgende Duett mit Ivanhoe und Rowena, wobei beide eher einen lyrischen Charakter besitzen. Ivanhoes Arie Happy with winged feet (3. Akt, 1. Szene) scheint einen unmittelbaren Bezug zum Duett des 1. Aktes aufzuzeigen. Das Solo Like mounting lark my spirit (1. Akt, 2. Szene) von Ivanhoe unterstreicht dahingegen vor allem die männliche Seite seines Charakters.

 

Der Hauptdarsteller in der Originalbesetzung, Ben Davies, besaß nicht nur eine gut ausgebildete Stimme, sondern auch das schauspielerische Talent, um einen lyrischen sowie auch heldenhaften Ivanhoe zu verkörpern. Jedoch konnte er auch einen augenschein­lichen Fehler des Librettos nicht korrigieren. Das Problem bestand darin, dass Ivanhoe im gesamten ersten Akt beinahe ausnahmslos9 getarnt auftritt, als Pilger (1. und 2. Szene) und als enterbter Ritter (3. Szene), im zweiten Akt nicht ein einziges Mal auf der Bühne erscheint, um dann im 3. Akt (1. Szene), als verwundeter, hilfloser Mann in Erscheinung zu treten. Diese Ereignisse prägen das Bild des vermeintlichen Helden Ivanhoe in der Oper und degradieren ihn zu einer undurchsichtigen, hilflosen Figur. Die Oper versucht Ivanhoes Taten als mutiger Ritter in Palästina im ersten Akt durch Erzählungen hervorzuheben, jedoch lebt eine Oper vorrangig von Bildern und nicht von Geschichten. Diese Aussage schließt sich unmittelbar an Dahlhaus´ These an: “ Die Substanz einer Oper ist das Sichtbare, nicht das Erzählbare.” (Dahlhaus (2) 1989, 32) Auch der Direktor der Pariser Grand Opéra zur Zeit Meyerbeers und Scribes stimmt dieser These zu, indem er für das Wesen der Oper fordert: “die Bedingung, daß eine Opernhandlung im Grunde als Pantomime verständlich sein müsse.” (zit. nach: Dahlhaus (2) 1989, 15) Dahlhaus schwächt diese Ansicht zwar ein wenig ab, indem er die “pantomimische Verständlichkeit” durch die “parola scenica” – die Forderung nach Schlagwörtern in der Oper – austauscht. (vgl. 1989, 15) Wesentlich ist jedoch die Erkenntnis, dass die Oper keine längeren Textpassagen enthalten sollte, die viel Information trägt, da sie für das Publikum unverständlich werden.#

Scotts Romanvorlage beinhaltet einen eher passiven Helden, dessen Gedanken und Gefühle nicht zum Ausdruck kommen. Diese Schwierigkeit versuchte Sullivan durch die Kompositionen lyrischer und dramatischer Musik für die Heldenfigur wettzumachen. Deshalb ist die Besetzungsfrage besonders bei der Ivanhoe-Figur so wichtig, da er mit seinem musikalischen und schauspielerischen Talent die Probleme des Librettos ausgleichen muss. Über die Frage, inwieweit die offensichtliche Vernachlässigung des Helden auch dem Zuschauer der Oper auffällt, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, jedoch sollte dieses Problem bei dem Versuch einer aktuellen Ivanhoe-Produktion aufgegriffen werden. Denn wie soll ein Publikum einen Mann als wahren Helden akzeptieren, der seinen einzigen ungetarnten Kampf10 nicht durch Kraft, sondern durch göttliches Schicksal gewinnt?



3.3. Detaillierte Analyse der 3. Szene, 2. Akt: Ein Türmchenzimmer in Torquilstone

Die Szene Ein Türmchenzimmer in Torquilstone stellt ohne Zweifel den dramatischen Höhepunkt der gesamten Oper dar. Hier kommen alle Elemente zusammen; die von Scott vorgegebene Verzweiflung der Rebecca, aber auch ihr Mut, sich gegen den Templer zu stellen, sowie die von Sullivan komponierte dramatische Musik, die im Duett mit Templer und Rebecca gipfelt. Teile dieser Analyse lehnen sich an Martin Yates Artikel in der Sir Arthur Sullivan Society-Broschüre an.

 

Die Szene beginnt nach einem sechstaktigen Orchestervorspiel mit dem Kriegslied der Ulrica, die am Spinnrad sitzt und laut Regieanweisung nur Ausschnitte ihres Liedes singt. Es handelt sich dabei um ein Strophenlied, das durch seine einfache, eingängige Melodie und seiner Molltonart (Bsp. 1), einen mystischen Charakter erhält. Scotts Ulrica singt dieses Lied erst, nachdem sie das Schloss in Flammen gesetzt hat. Sullivan benutzt dieses Vokalstück zur Einführung der Ulrica-Figur, und es kann daher in seiner Gestaltung als eine Art Erkennungsmotiv dieser Person aufgefasst werden, dessen heidnisch-mystischer Charakter von der eher tiefen Mezzosopranstimmlage noch unter­strich­en wird.

 

Beispiel 1


Der Charakter der Ulrica wird nicht nur musikalisch festgelegt, sondern auch durch ihr Requisit, dem Spinnrad. Es veranschaulicht Ulricas Schicksal, die eingesperrt im Turm des Schlosses an diesem Spinnrad sitzen muss. Diese Assoziationen werden schon suggeriert, bevor sie Rebecca von ihrer Leidensgeschichte erzählt.

Die erste Strophe des Kriegsliedes konnte Sturgis aus Scotts Vorlage beinahe unverändert übernehmen, wobei nur die letzten beiden Zeilen minimale Veränderungen aufweisen.11

 

Ulricas Kriegslied:

Whet the keen axes, Whet the bright steel,

Sons of the Dragon! Sons of the White Dragon!

Kindle the torches, Kindle the torch,

Daughter of Hengist! Daughter of Hengist!

Wave your long tresses, Shake your black tresses,

Maids of Valhalla! maidens of Valhalla! (344)


Es ist nicht zu übersehen, dass Maids of Valhalla einen singbareren Rhythmus aufweist und daher auch einfacher auf einen Gesangsrhythmus zu übertragen ist, als Scotts Vorgabe Maidens of Valhalla. Bei genauerer Betrachtung des Librettos lässt sich außerdem feststellen, dass jede Zeile aus genau fünf Silben besteht. Um diese Fünfsilbigkeit beizubehalten, musste das zweisilbige Wort Maidens auf das einsilbige Maids gekürzt werden. Sullivan nutzte diese gleichbleibende Fünfsilbigkeit im Libretto, indem er nur zwei verschiedene rhytmische Figuren für das gesamte Lied verarbeitete.

Nachdem Ulrica ihre zweite Strophe mit der gleichen Melodie der ersten Strophe beendet hat, klingt auch die sich ständig repetierende Figur der Viola und des Basses aus.

 

Beispiel 2


Das darauffolgende Rezitativ der Rebecca bekommt durch seinen a-capella Einstieg sowie durch stufenweise Auf- und Abwärtsbewegungen der Melodie einen eindringlichen Charakter, der von den lang anhaltenden Tönen der Holzblasinstrumente übernommen wird. Da auch die Scott-Vorlage dieser Szene als Dialog und nicht beschreibend konzipiert wurde, konnte Sturgis den Roman an dieser Stelle leicht adaptieren. Jedoch lässt sich beim Vergleich Rebeccas flehenden Worten eine Anpassung an die Musiksprache im Libretto feststellen.

 

Rebecca:

Good mother, of thy pity say For the sake of mercy,

What fate is mine? tell me what I am to expect as the conclusion

Speak, as thou art a woman! of the violence which hath dragged me hither!

In mercy answer me! (245)


An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig Schlagwörter für ein Libretto sind. Das bedeutet, dass im Libretto nicht nur lange Sätze vermieden werden, sondern auch lange Wörter, die durch die musikalische Adaption unverständlich wären. Trotzdem sollte ein Libretto die wichtigsten Informationen enthalten und nur Nebensächlichkeiten kürzen. Wörter wie conclusion und violence sind zum Singen eher unvorteilhaft, da sie dreisilbig sind. Deshalb kürzte Sturgis Scotts Formulierung: What I am to expect as the conclusion of the violence which hath dragged me hither! (245) auf die einfache Frage: What fate is mine?. Ein wesentlicher Grund für diese eher knappe Darstellungsform liegt im Wesen der Oper selbst. Sie ist gewissermaßen durch die Musik eher emotional ansprechend und muss Zustände umreißen, Positionen klären, Gefühle offen aussprechen und benötigt keine ausschweifenden Erklärungsversuche. (vgl. Labussek 1994, 12) Beispiele wie dieses lassen sich auch an anderen Stellen der Szene finden, die durch eine vergleichende Gegenüberstellung des Librettos mit der Vorlage anschaulich werden.

 

Die anschließende dramatische Vergangenheitserzählung Ulricas wird durch repetierende chromatische Sechzehntelbewegungen im Orchester unterstützt. (Bsp.3) Typisch für die Klarheit eines Rezitativs bewegt sich die Melodie an dieser Stelle fast nur innerhalb einer Oktave (b als tiefster und b' als höchster Ton). Nur bei den Schlagwörtern, also den wichtigsten Wörtern des Rezitativs, verlässt Ulrica die vorgegebene Oktave. Durch diese Methode werden noble Saxon maid, holy stain, I the sole daughter of their race und I who was once as proud as fair, was sport of conqueror´s hervorgehoben, wobei das Wort sport durch das hohe lang ausgehaltene mit einer Vermate versehene g", unterstützt durch das gesamte Orchester, den Höhepunkt dieser Passage bildet.

Beispiel 3


Eine vergleichende Betrachtung zwischen den Worten des Librettos und denen des Romans lassen erkennen, das Sturgis auch diesen Teil von Scott mit nur kleineren Veränderungen übernehmen konnte.

 

Ulrica:

...Look on me! In this cruel place Look at me. ...Ny father and his seven sons

My father, and my brethren twain defended their inheritance from story to story,

Their fair curls clotted with their blood, from chamber to chamber. There was not a

Fought till they fell; and ere the stair room, not a step of the stair, that was not Was washed from that most holy stain, with their blood. I had become the prey and

I ...was sport of conqueror´s wanton mood. the scorn of the conqueror! (245)


Auffällig bei diesem Beispiel ist, dass jedes letzte Wort einer Zeile bzw. eines Gedankens einsilbig ist. Dieses Merkmal machte sich Sullivan zu Nutze, ordnete immer dem letzten Wort eine halbe bzw. eine punktierte halbe Note zu (place, blood, fell, stain, race, fair, mood) und erzeugte damit eine Art Atem- bzw. Gedankenpause. Den dialogischen Charakter der Vorlage zwischen Ulrica und Rowena hält die Oper bei, indem Sullivan ein Duett mit den beiden Figuren komponierte.

 

Nachdem Ulrica ihr Rezitativ im Andante beendet hat, folgt ein im Allegro moderato stehendes Rebecca-Rezitativ mit eindringlichem, beinahe schon verzweifeltem Charakter, das zum Höhepunkt des gesamten Duetts mit Ulrica und Rebecca hinarbeitet. Es wird eingeleitet mit dem Ausspruch:

 

Rebecca:

Is there no way of safety? Is there no help? Are there no means of escape? (246)


Die gleiche Frage wiederholt Rebecca am Ende ihres aussichtslosen Rezitativs, wobei die abfallende Melodiefolge fast wie ein Aufgeben wirkt. Um den freundlichen und liebenswürdigen Charakter Rebeccas zu unterstrichen, spielt die Flöte über dem Rezitativ ein markantes Motiv, das kurz darauf auch von der Piccolloflöte übernommen wird.

 

Beispiel 4


Der resignierte Charakter der Ulrica wird besonders im Kontrast zur verzweifelten Rebecca deutlich, die ihr keine Hoffnung gibt, sondern ihr jeden Lebensmut nimmt. Sie sieht für die arme Jüdin keine Zukunft und sagt es ihr ins Gesicht.

Ulrica:

No way but through the gates of death, Think not of it, from hence there is no escape

And they do open late, too late! but through the gates of death; and it is late – late

(246)

Musikalisch wird dieser Kontrast durch die Melodiefolge in der Bassklarinette und im Bass wiedergegeben, die das Flötenmotiv (Bsp. 4) wieder aufgreifen und somit einen direkten Bezug zu Rebecca herstellen. Währenddessen singt Ulrica eine schlichte Melodie, die sich um den Ton as bewegt. Das Wort death wird dabei durch die tonartfremde, punktierte halbe Note g' hervorgehoben.

Als sich Ulrica von Rebecca verabschiedet, wird das verzweifelte Flehen der Jüdin zum Höhepunkt gebracht, was durch die triolischen staccato Tonwiederholungen der Streich­instrumente intensiviert wird.


Beispiel 5

Rebecca:

O stay with me, in mercy stay! Stay! Stay! for Heaven´s sake! stay, though it

Curse me, but leave me not! Thy presence be to curse and to revile me;

here were surely some protection in my need. thy presence is yet some protection. (246)

Bevor sich Ulrica mit der dritten Strophe ihres Eingangs vorgestellten Kriegsliedes entfernt, singt sie ein Rezitativ Secco mit sehr einfacher Melodiefolge. Bei dem Vergleich des Librettos mit der Vorlage wird auch an dieser Stelle klar, dass nur die wichtigsten Informationen im Operntext benutzt werden, wobei die Wörter kurz und aussagekräftig sein müssen.

 

Ulrica:

Not e´en the presence of the Mother of God The presence of the mother of God were no

Can save thee from thy doom! Go, kneel to her, protection,...There she stands,...see if she can

And see if she will save a Jewish girl. avert the fate that awaits thee. (246)

Nachdem Rebecca allein im Türmchenzimmer zurückgelassen worden ist, so steht in der Regieanweisung, eilt sie zur Tür und versucht sie zu öffnen, aber Ulrica hat diese abgesperrt. Anschließend hastet sie zum Fenster und sieht hinunter in die Tiefe, geht dann mit der Hand die Augen verdeckend wieder zurück in den Raum und singt zunächst ihre verzweifelte Arie O awful depth below the castle wall. In ihrer Hoffnungslosigkeit betet sie zu Gott und singt eine der beiden schönsten und beliebtesten Arien der Oper12 Lord of our chosen race. Diese beiden Arien gehörten nicht nur lange Zeit zum gängigen Konzertrepertoire von Sängern in England, sondern erscheinen auch heute immer wieder als einzige Arien der Oper auf CD-Einspielungen Sullivans bekanntester Musik.


Beispiel 6


Dieser Arie wurde vor allem deshalb wiederholt Lob zugesprochen, weil die Wendung Guard me (Bsp. 6) sehr authentisch jüdisch klingt. In einem Brief an Hermann Klein verrät Sullivan, wie er auf diese authentisch klingende Melodie gekommen ist:

When I was the “Mendelssohn scholar” and living in Leipzig, I went once or twice to the old Jewish synagogue, and among the many Eastern melodies chanted by the minister, this quaint progression in the minor occurred so frequently that I have never forgotten it. (zit. nach: Ovel 1994, 127)

 

Sullivan hatte diese Melodie schon seit seiner Jugend im Gedächtnis gespeichert, um sich nun bei dem bemerkenswerten Charakter der Rebecca wieder an sie zu erinnern. Diese hebräischen Klänge sowie die Tatsache, dass Sullivan für diese Arie ein Gebet auswählte, lässt Rebeccas Religion in den Vordergrund treten.

 

Die im Andante moderato stehende Arie unterstützt den in sich kehrenden Charakter eines Gebets und stellt gleichzeitig einen Kontrast zu dem im Allegro agitato stehenden anschließenden Rezitativ dar. Rebeccas wunderschöne Arie bildet den Abschluss des ersten Teils dieser Szene, ist gleichzeitig aber auch eine Überleitung zum folgenden Duett mit dem Templer und Rebecca. Da Rebeccas Gebet in der Haupttonart As-Moll/Dur steht, lässt es eine enge Verbindung zum anschließenden Templer-Rebecca-Duett vermuten. Das Gebet besitzt drei Strophen, wobei die ersten beiden in As-Moll stehen und der letzte Vers in As-Dur ertönt.

 

Der Templer versteckt zunächst beim Eintreten ins Türmchenzimmer sein Gesicht hinter seinem Mantel, jedoch suggeriert die Melodie von Woo thou thy snowflake im Orchester, seine Abschlussarie aus der vorherigen Szene, dass die eingetretene Person Bois-Guilbert ist. Rebecca hingegen hält ihn anfänglich für einen Diener und versucht, ihm ihre Juwelen als Preis für ihre Freilassung anzubieten.

 

Rebecca:

Take thou these jewels; here is wealth enow Take these [...] and for God´s sake be merci- To give thee life of happy days; ful to me and my aged father! These

And when I leave these castle walls, ornaments are of value, yet are they trifling

For every gem a thousand shall be thine. to what he would bestow to obtain our

dismissal from this castle free and uninjured. (248)


Da in der Oper anders als im Roman nicht erklärt wird, welches Schicksal Rebeccas Vater Isaac auf Torquilstone erleidet, erwähnt sie in diesem Rezitativ auch nicht seinen Namen. Isaacs Schicksal stellt nur eine Nebenhandlung im Roman dar und bleibt deshalb in der Oper unbeachtet, ein typisches Beispiel für die Reduktion des Librettos auf den Hauptstrang der Geschichte. In der Oper sind optische Eindrücke wichtiger, als die Verständlichkeit der Worte. Deshalb sind an dieser Stelle Rebeccas Worte unwichtiger als ihre Geste, dem Fremden ihre Juwelen anzubieten.

 

Mit dieser Gebärde beginnt das Duett, welches sich in sechs Abschnitte unterteilen lässt, jeder Abschnitt aber einen anderen Aspekt ihrer gegenseitigen Beziehung und ihres Konfliktes ergründet. Sullivan fügt diese sechs Abschnitte musikalisch wieder zu einem Ganzen zusammen, indem er die Tonarten As-Dur/ Moll beibehält, während Rebeccas Passagen immer wieder in die Molltonart verfällt, der Templer jedoch eher zur Durtonart tendiert. Das As-Moll der Rebecca-Tonfolgen stellt einen unmittelbaren Bezug zu Rebeccas Gebetsarie Lord of our chosen race dar, was ihren religiösen und unschuldigen Charakter suggeriert.

 

Die anschließende Äußerung des Templers Now, nay, fair flow´r of Palestine erhält durch die auf- und abfallende Begleitmelodie der Harfe unterstützt von der Tempobezeichnung Andante espressivo einen drängenden, aufdringlichen Charakter, der in der ständig wiederholenden Phrase I love thee! ihren Höhepunkt findet. (Bsp.7)

 

Beispiel 7

 

An dieser Stelle sind die Worte noch erkennbar aus Scotts Vorlage adaptiert. Der Rest des Duetts bezieht sich zwar immer noch auf Scotts Roman, allerdings lassen sich in der Wortwahl keine großen Übereinstimmungen mehr feststellen.

 

Templar:

Now, nay, fair flower of Palestine, Fair flower of Palestine,...

Thou dost mistake me; I am one these pearls are orient, but they yield white-

More apt to hang thy neck with Orient pearl ness to your teeth; the diamonds are brilliant,

Than to take jewels from thee. but they cannot match your eyes; ... I have

mad a vow to prefer beauty to wealth. (248)

 

Die Arie des Templers leitet gleichzeitig ein Streitgespräch zwischen Rebecca und ihrem Tyrannen ein, das im Allegro non troppo ein äußerst hohes Tempo erreicht und dadurch die Intensität der Auseinandersetzung erhöht.

 

Den dramatischen Höhepunkt dieser dialogähnlichen Auseinandersetzung bildet Rebeccas Warnruf, sich vom Turm in den Tod zu stürzen, falls der Templer sie berühren sollte. Vorbereitet wird dieser Augenblick vom gesamten Orchester, das im fortissimo vom 4/ 4 Takt in den 3/ 4 Takt übergeht, wobei die Flöten und Streichinstrumente triolische Unisonofiguren spielen, die über Es-Dur in die Haupttonart As-Dur zurückkehren und in einer Generalpause enden. Sullivans Entscheidung Rebeccas Ausruf (Bsp. 8) a-capella zu komponieren, unterstützt die Dramatik der Situation und macht ihn zum Höhepunkt dieser Szene.

 

Beispiel 8

Auch das Bühnenbild zeigt die Spannung dieses Augenblicks sehr anschaulich.


Beispiel 9


Dieser dramatisch und musikalische Höhepunkt der Szene stellt gleichzeitig den bewegensten Augenblick der gesamten Oper dar, da alle Faktoren ineinandergreifen. Die Spannung wird nicht nur musikalisch durch das Orchester vorbereitet, sondern auch sprachlich durch Rebeccas energische Worte und dramaturgisch durch ihre Drohgebärde, sich aus dem Fenster zu stürzen, unterstützt.

 

Die Reaktion des Templers auf Rebeccas Warnung ist seine unerwartete Aussage, dass er sie zum Empress of the East machen will, da er von ihrem Mut fasziniert sei. Sein rhapsodischer Ausruf bringt ihn zur Haupttonart As-Dur zurück, während die schöne Jüdin ihn wiederum zurückweist. Rebeccas aufgebrachter Gemütszustand kommt durch einen unruhigen Rhythmus im Bass und in den Streichinstrumenten zum Ausdruck und wird vom Allegro vivace-Tempo noch intensiviert. Dieser Teil veranschaulicht vor allem ihren willensstarken und mutigen Charakter, der durch keinerlei Drohgebärden des Templers eingeschüchtert werden kann.


Beispiel 10

 

Rebeccas Thema verläuft durch mehrere Tonarten und bereitet einen erneuten Höhepunkt vor, der jedoch durch die Ankündigung einer Schlacht unterbrochen wird.

Der letzte Abschnitt dieser Szene ist mit einem e sempre-animato e con fuoco betitelt, wobei er in einer variierten Form an das vorherige Thema anschließt, begleitet von einer langsamen triolischen Basslinie. Den Höhepunkt dieses Abschnitts bildet die Zusammenführung beider Stimmen, die jedoch nicht als Vereinigung beider Charaktere missverstanden werden darf, sondern ihre divergierenden Meinungen intensivieren. Nachdem der Templer das Türmchenzimmer verlassen hat, wiederholt Rebecca ihren bewegenden Ausruf O Jehovah guard me, der sich bis zum b´´ emporhebt, während das Orchester die Guard me Phrase akzentuiert.


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3.4 Zusammenfassung

Eine detaillierte, vergleichende Betrachtung der Oper und des Romans eröffnet einen neuen Blickwinkel auf Sullivans Ivanhoe. Die auf den ersten Blick als nahezu identisch wirkenden Werke beinhalten markante Unterschiede, die vor allem dem kompositorischen Talent Sullivans zuzuschreiben sind. Er schaffte es einerseits durch wiederholende Tonarten und wiederkehrende Leitmotive, unterschiedliche Szenen und Akte miteinander zu verbinden, und andererseits durch markante Motive, den Hauptcharakteren mehr Persönlichkeit zu verleihen. Scott gestaltete seine Figuren als passive Charaktere. Diese Passivität konnte Sullivan durch musikalische Raffinesse ausgleichen, weil er beispielsweise der faden Rowena-Figur von Scott wunderschöne Melodien zugestand und sie dadurch interessanter erscheinen lässt.

Eine aktuelle Wiederaufführung der Oper setzt eine intensive Behandlung mit Scotts Vorlage voraus, vor allem aber muss Sullivans Oper als die angesehen werden, die sie in Wirklichkeit darstellt. Hätte Sullivan die Oper als das bezeichnet, was sie ist, nämlich als eher lyrisch und nicht als große romantische Oper, wäre es vielleicht nicht zu so vielen Missverständnissen gegenüber Sullivans Werk gekommen. Das Problem dieser Oper liegt darin, dass sie einerseits das Orchester und die Bühnengröße einer großen Oper in Anspruch nimmt, durch seine intimen Szenen und den generell eher lyrischen Ton jedoch nicht als große Oper bezeichnet werden kann.

 

Außerdem ist die richtige Stimmfachverteilungen bei diesem Werk besonders wichtig, damit sich die Charaktere trotz der groß angelegten Szenarien durchsetzen können und die zum Teil wunderschönen Melodien der Oper Anerkennung finden. Wenn diese Voraussetzungen beachtet werden, dürfte nichts gegen eine Wiederaufführung auf einer professionellen Bühne sprechen.


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4 Öffentliche Rezeption

Jedes Kunstwerk enthält das Gesetz in sich, dessen lebendiger Ausdruck es ist. Dieses Gesetz zu finden und in Worte zu bringen ist die Aufgabe der echten Kunstkritik.

Ernst von Feuchtersleben


Eine rezeptionsgeschichtliche Analyse kann auf der einen Seiten Phänomene wie die Bach-Rezeption aufzeigen: Bach fand Jahrzehnte lang keine Beachtung, wurde von Mendelssohn wiederentdeckt und ist aus der heutigen Musikgeschichte nicht mehr wegzudenken. Sie kann auf der anderen Seite aber auch Phänomene aufzeigen, in denen ein Werk von seinen Zeitgenossen euphorisch aufgenommen wurde, im Laufe der Jahre jedoch beinahe in Vergessenheit geraten ist.

 

Ein Beispiel für letzteres ist die Oper Ivanhoe von Sullivan. Während im vorherigen Kapitel dieser Arbeit die Analyse des Librettos im Vordergrund stand, ist das Werk an dieser Stelle in seiner Ganzheit angesprochen, da das Publikum die Oper als solche und nicht als Libretto wahrnimmt. Erst durch die Untersuchung zeitgenössischer Rezeptionen kann die tatsächlich realisierte Wiedergabe erfasst werden. Anhand von Presserezensionen, Tagebuchaufzeichnungen, Memoiren und musikwissenschaftlichen Analysen soll die ungewöhnliche öffentliche Rezeption dieser Oper aufgezeigt werden.

 

Bevor die Reaktion auf die Sullivan-Oper jedoch vorgestellt werden kann, wird die unterschiedliche Rezeption der Opernvorlage - Scotts Roman Ivanhoe - als Werk untersucht. Hierbei sind besonders die verschiedenen Adaptionen, sowie die Rezeptionen der Literaturwissenschaft von Interesse, die sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder veränderten. Diese Analyse ist Grundvorraussetzung für das Verständnis von Sullivans Entscheidung Scotts Ivanhoe als Opernvorlage zu wählen. All diese Ergebnisse werden nie ganz ihren hypothetischen Charakter verlieren, da es sich bei den Kritikern oftmals um professionelle und privilegierte Theaterbesucher sowie um Stimmen Einzelner handelt, deren Aussagen im Hinblick auf ihre Repräsentativität gegenüber dem breiten Publikum mit größter Vorsicht behandelt werden müssen.



4.1 Die Rezeption Scotts Ivanhoe

Es gibt keine alte und moderne Literatur, sondern nur eine ewige und eine vergängliche.

Ernst von Feuchtersleben


Als der Roman Ivanhoe 1819 erschien, war Scott mit seinen Waverley-Romanen schon ein erfolgreicher Schriftsteller. Nach neun Romanen, den Scottish Novels, befürchtete Scott, dass sein Leserpublikum nach etwas Neuem verlangen würde. So spielt Ivanhoe im England des 12. Jahrhunderts und nicht mehr, wie seine vorherigen Romane im Schottland des 17. oder 18. Jahrhunderts. (vgl. Bestek 1992, 60) Aus Angst vor einem möglichen Scheitern zog Scott zunächst in Erwägung, seinen neuen Roman unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. (vgl. Lockart 1851, 175) Seine Angst vor einem möglichen Misserfolg war jedoch unbegründet, denn Ivanhoe wurde euphorischer aufgenommen als irgendeines seiner Werke zuvor. Zum ersten Mal hatte er auch bei seinem englischen Publikum durchschlagenden Erfolg, welcher sich später auf ganz Europa ausbreitete. Dieser einmalige, populäre Mittelalterroman inspirierte nicht nur verschiedene Komponisten wie Sullivan, sondern auch andere Künstler. Vor dem Hintergrund dieser Popularität soll untersucht werden, warum und inwieweit Ivanhoe ein wahres Mittelalterfieber auslöste.

 

Weiterhin soll auf kritische Stimmen hingewiesen werden, die Ivanhoe aus gegenwärtiger Sicht analysieren. Scott war ein großer Historiker und ihm war bewusst, dass die Beschreibung des Mittelalters in seinem Roman von den Lesern als Dokument und nicht als eine ausgedachte Geschichte wahrgenommen werden würde. Noch heute sehen wir das Mittelalter teilweise durch die Beschreibung Scotts und seiner Figuren. Diese Tatsache macht sein Werk zur Angriffsfläche einiger Literaturkritiker, die Unstimmigkeiten zwischen Scotts Roman und mittelalterlichen Nachforschungen entdecken.

 

Die Scott-Rezeption hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Während Scotts Romane von viktorianischen Kritikern und Wissenschaftlern gepriesen wurden, verlor sich das Interesse an ihnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und sie wurden erst nach 1960 wieder entdeckt. Die Ursachen für diese unterschiedlichen Rezeptionen werden einen Teil der folgenden Analyse einnehmen.


4.1.1 Die Auslösung eines “Mittelalterfiebers”

Scotts Ivanhoe erschien im Dezember 1819, in einer Zeit, die für den Schriftsteller mit einem großen Schicksalsschlag verbunden war. Seine geliebte Mutter starb nur sechs Tage nach der Veröffentlichung seines Romans. Ob ihm der Erfolg dieses Werkes über den Verlust hinweghalf, mag angezweifelt werden. Fest stand jedoch, dass Ivanhoe alle Rekorde brach und die Menschen in ein “Mittelalterfieber” verfallen ließ:

Ivanhoe was received throughout England with a more clamorous delight than any of the Scotch novels had been. The volumes (three in number) were now, for the first time, of the post 8vo form, with a finer paper than hitherto, the press-work much more elegant, and the price accordingly raised from eight shillings the volume to ten; yet the copies sold in this original shape were twelve thousand. (Lockart 1851, 175)

 

Der euphorische Andrang für Scotts neues Werk war unglaublich. Hier wurde ein Buch zum Preis von zehn Schillingen, dem Wochenlohn eines qualifizierten Arbeiters, verkauft, und trotzdem wurden alle vorherigen Verkaufszahlen übertroffen. Dieser Roman vermochte nicht nur die Leser aus ihrem Alltag hinaus- und in eine Traumwelt hineinzuführen, sondern erzählte auch gleichzeitig die Geschichte ihrer Vorfahren aus einem optimistischen Blickwinkel. Die Kombination aus geschichtlich nachweisbaren Figuren – König Richard – und Helden bekannter Erzählungen – Robin Hood, Little John – begeisterte die Leser.

 

Auch die Presse war von diesem neuen Roman des schottischen Schriftstellers beeindruckt. Niemand schien auch nur ein schlechtes Wort gegen Ivanhoe auszusprechen:

Reviewers were equally delighted. ”A splendid masque,” said the Quarterly Review; ”a splendid Poem,” said the Edinburgh Review; ”never was the illusion of fancy so complete,” observed Blackwood´s. (Lauber 1989, 90)

 

Ivanhoe entwickelte sich zu einem der beliebtesten Romane seiner Zeit und wurde allein in Großbritannien fünfzehn mal für die Bühne adaptiert. Scotts Werk beeinflusste Autoren der Literatur und der Geschichte in ganz Europa und Nordamerika: Balzac, Hugo, Ranke, Manzoni, Alexis (Walladmar 1823), Thieck (Der Aufruf in den Cevennen 1826), Hauff (Lichtenstein 1827), Puschkin, Cooper, Prescott sowie britische Schriftsteller z.B. Macaulay, George Eliot und andere ließen sich von Scott inspirieren. Hinzu kamen die ausländischen Opernkomponisten wie Rossini (1826), Marschner (1829), Pacini (1832), Nicolai (1840), Savi (1863), Pisani (1865) und Ciardi (1888), die sein Werk weiterverarbeiteten.13

 

Welche Auswirkungen Scotts Ivanhoe-Roman allein auf Schauspieladaptionen hatte, wird dadurch deutlich, dass im selben Monat vier verschiedene Ivanhoe-Dramen, wovon jedes einen anderen dramatischen Moment des Romans betonte, erfolgreich auf Londoner Bühnen aufgeführt wurden. (vgl. deGategno 1994, 89) Noch klarer zeigt ein zeitgenössischer Kritiker die Popularität von Scotts Mittelalterroman auf: “With the exception of two or three decades, every period of ten years has brought out an important version of Ivanhoe.” (deGategno 1994, 89)

Die bekannteste Adaption vor 1850 war Thomas Dibdins Ivanhoe; or, the Jew´s Daughter, die 1820, nur einen Monat nach der Veröffentlichung des Romans, erschien. Das Hauptaugenmerk in den meisten Schauspieladaptionen galt der Figur der Jüdin Rebecca. George Soane war mit seinem Drama The Hebrew (1820), der Erste, der das unglückliche Schicksal Scotts Rebecca nicht akzeptierte und ein Neues kreierte. Auch Thackeray gab in seiner Version Rebecca and Rowena (1849) der Geschichte ein anderes Ende. (vgl. deGategno 1994, 90) Seit 1830 findet sich auch in der bildenden Kunst Scotts Ivanhoe-Roman wieder.

 

Catherine Gordon zeigt in ihrer Forschungsarbeit British Painting of Subjects from the English Novel auf, dass Ivanhoe mehr als 20 Prozent aller auf Scotts Werke bezogenen Malereien einnimmt. Hierbei hatten die Maler das größte Interesse wieder an der Rebecca-Figur, zugegeben die interessanteste Figur im Roman. (vgl. deGategno 1994, 97)

Rezensionen über Ivanhoe wurden gleich nach dessen Erscheinen veröffentlicht, und viele weitere Kritiken folgten. Abgesehen von einigen kritischen Stimmen wie Coleridge, wurde Scott von seinen Zeitgenossen fast ausschließlich als der größte Romanschriftsteller aller Zeiten gepriesen. Diese Lobespreisungen gingen sogar soweit, dass Scotts historische Romane mit Shakespeares historische Dramen verglichen wurden. (vgl. Lauber 1989, 121) Diese unglaubliche Verehrung der dem Ivanhoe-Autor beeinflusst auch die gegenwärtige Rezeption seiner Werke. Besonders seine Waverley-Romane und natürlich sein Mittelalterroman Ivanhoe sind Mittelpunkt der Literaturwissenschaft und sind Ausgangspunkt unzähliger wissenschaftlicher Bücher und Dissertationen auch außerhalb der englischsprachigen Kultur.14

 

Zwar hat Lauber Recht mit der Aussage, dass Scott von der Literaturwissenschaft im 20. Jahrhundert teilweise ignoriert wurde, dies scheint aber eher auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zuzutreffen. Denn seit Ende der 60er Jahre gibt es wieder eine wachsende Anzahl von wissenschaftlichen Publikationen über die Person Scott und seine Werke. Auffällig ist auch die Zunahme von Veröffentlichungen in den 90er Jahren, die das gegenwärtige öffentliche Interesse an mittelalterlichen Themen widerspiegelt, das vor allem in der Filmindustrie zu erkennen ist.15

 

Der Roman Ivanhoe ist bis heute Gegenstand unterschiedlicher Neuerungen. Er wurde verkürzt, illustriert, als klassischer Schulstoffroman behandelt, in Taschenbuchformat und als amerikanische Version verkauft, verfilmt, in elf verschiedene Sprachen übersetzt und verschiedenartig adaptiert. Ungeachtet aller Kritik war es Scott, der als erster Schriftsteller seinen Lesern zeigte, dass Geschichte nicht nur aus Zahlen und Schlachten bestand, sondern vor allem aus Menschen, die sie beeinflusst. Er zeigte seinen Lesern, dass menschliche Handlungsweisen durch ihre gesellschaftlichen Normen bestimmt werden und übertragbar auf jedes Jahrhundert sind.



4.1.2 Die kritischen Ivanhoe-Rezeptionen unter Berücksichtigung des jeweiligen

Zeitgeistes

 

Der Zeitgeist ist das jeweilige Gespenst der Gegenwart.

Werner Schneyder


Neben den vorrangig positiven Kritiken nach der Veröffentlichung, gab es auch ein paar Kritiker, die Ivanhoe als Fehlschlag verurteilten. Der Schriftsteller Coleridge war eine dieser kritischen Stimmen; er sah den einzigen Grund für Ivanhoes Popularität darin, dass die Engländer eine tiefe Sehnsucht hegten, dem 19. Jahrhundert und seinen Problemen entfliehen zu können. “This is an age of anxiety from the crown to the novel, from the cradle to the coffin; all is an anxious striving.” (Low 1980, 10) Coleridge argumentiert, dass Scott die Sehnsucht der Menschen mit seinem Mittelalterroman stillen konnte, sein Inhalt sich jedoch nicht mit den großen Meisterwerken der englischen Literaturgeschichte messen könne. (vgl. Low 1980, 10)

 

Der Historiker Scott konnte bei seinen Waverley-Romanen immer auf erzählte Geschichten aus erster Hand zurückgreifen. Da er in seinen schottischen Romanen eine Zeit beschrieb, die in den Köpfen seiner direkten Vorfahren noch präsent war, beruhten sie teilweise auf authentischen Geschichten. Bei Ivanhoe konnte er jedoch nicht auf unmittelbare Quellen zurückgreifen, sondern musste gelesene Dokumente und Phantasie vermischen. “Aufgrund der fehlenden Vertrautheit des Autors mit der dargestellten Epoche besteht das Romanpersonal weitgehend aus literarischen Klischeefiguren: der edle Ritter, der dunkle Bösewicht, der treue Diener, der hochherzige Räuber, der lebenslustige Mönch usw.” (Bestek 1992, 63)

 

Leser und Kritiker, die eine Authentizität in Ivanhoe suchen, erwarten etwas Unmögliches von dem Roman. Natürlich kann nachgewiesen werden, dass Namen wie Ulrica und Rowena im 12. Jahrhundert nicht geläufig waren. Es ist auch nicht wahr, dass das christianisierte englische Volk im 12. Jahrhundert slavische Götzenbilder anbetete. Trotzdem enthält Ivanhoe eine Art Realismus, der auf moralischer Ebene, nicht aber auf historischer funktioniert. Wilson sieht in Scotts Charakteren diesen Realismus verwirklicht, der besonders anhand des unglücklichen Endes für Rebecca deutlich wird:

 

It would be much more satisfying if Ivanhoe could have married her (Rowena) – as he does in Thackeray´s [...] Rebecca and Rowena, or as in most of the operative and dramatised versions of the book. But Scott is too much of a realist for that. Rebecca is a classic type of the rigidity which Scott finds so attractive in his heroines; she must be an exile, and the whole stern beauty of the end of the book depends on her unrequited love. (Wilson 1984, XII)

 

An dieser Stelle befürwortet Wilson Scotts Ende, das zum Angriffspunkt vieler enttäuschter Leser und Literaturkritiker wurde. Der Schriftsteller Thackeray nimmt dabei eine führende Stellung ein und äußert seine abwertende Meinung gegenüber Scotts Ende in seinem Weihnachtsbüchlein Rebecca und Rowena:

 

My dear Rebecca, daughter of Isaac of York, has always, in my mind, been one of these; nor can I ever believe that such a woman, so admirable, so tender, so heroic, so beautiful, could disappear altogether before such another woman as Rowena, that vapid, flaxen-headed creature, who is, in my humble opinion, unworthy of Ivanhoe, and unworthy of her place as heroine. Had both of them got heir rights, it ever seemed to me that Rebecca would have had the husband, and Rowena would have gone off to a convent and shut herself up, where I, for one, would never have taken the trouble of inquiring for her. (zit. nach: www.hicom.net/-oedipus/books/rebecca.1.html vom 09.04.01, 2)

 

Noch zu Beginn der viktorianischen Zeit wurde Scott mit Shakespeare verglichen. Dieser Vergleich war am Ende des 19. Jahrhunderts jedoch nicht mehr angebracht, denn sein Ansehen verlor zunehmend an Bedeutung. Zeitweilig wurde Scott sagar hauptsächlich nur als Kinderbuchautor gesehen und später ganz ins Abseits gedrängt. Walter Bagehot kritisiert in seiner Scott-Rezeption bereits im Jahre 1858, dass Scotts Romane eher einem Kind gefallen könnten, als einem seriösen, erwachsenen Leser. “The charm of Ivanhoe is addressed to a simpler sort of imagination, - to that kind of boyish fancy which idolises medieval society as the ´fighting time´.” (zit. nach: Shaw 1996, 36) Schon die Generation um 1860 verband mit Scotts Romanen die veralteten Vorstellungen ihrer Elterngeneration. Dieser Aspekt wird besonders interessant hinsichtlich der Frage nach dem Misserfolg der Ivanhoe-Oper von Sullivan, denn er adaptierte diesen schon um 1860 als veraltet verurteilten Stoff erst 1891.

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es fast kein Leserpublikum für Scotts Romane mehr, und auch die Literaturwissenschaft behandelte den Ivanhoe-Schriftsteller stiefmütterlich. (vgl. Shaw 1996, 2) Shaw sieht in dieser plötzlichen Negativhaltung gegenüber Scott einen allgemeinen Trend jener Zeit. “The neglect of Scott by radical critics is part of a larger neglect, fuelled by the rise of postmodern assumptions about literature and indeed about history itself.” (Shaw 1996, 8) John Henry Raleigh fasst in seinen Victorian Studies 7 die Scott-Rezeptionen vor 1963 knapp, wie folgt, zusammen:

 

In the nineteenth century Scott was ubiquitous; in the twentieth he virtually disappears. Never before or since in Western culture has a writer been such a power in his own day and so negligible to posterity. (zit. nach: Shaw 1996, 47)

 

Auch Richard Waswo stimmt in seiner Arbeit Scott and his influence von 1982 der Aussage zu, dass Scott mit der Zeit an Popularität verlor, sieht die Ursache dafür aber in einer ganz natürlichen Veränderung des Zeitgeistes. “The Zeitgeist moved on and left him behind, a causality to the kind of historical process to which he had drawn the attention of the whole century.” (zit. nach: Shaw 1996, 72) Waswos Meinung nach repräsentierten Scotts Romane einfach nicht mehr das ästhetische Empfinden jener Zeit und wurden demzufolge von Werken anderer Schriftsteller wie Dickens, Thackeray oder Eliot ersetzt. Dies ist kein ungewöhnlicher Vorgang, sondern findet viele ähnliche Beispiele in der Geschichte.

 

Eine sehr gute Zusammenfassung aller literaturwissenschaftlichen Kritiken über Scotts Einfluss und Stellung in der Literaturgeschichte kann nachgelesen werden in Harry E. Shaws Critical Essays on Sir Walter Scott 1996. In dieser Publikation wird der unterschiedliche Stellenwert Scotts in der Gesellschaft und die sich verändernde Rezeption über die Jahrzehnte hinweg deutlich aufgezeigt.

 

Scotts Ansehen als Romanschriftsteller und Begründer des historischen Romans durchlebte viele Veränderungen. Sein außergewöhnlicher Erfolg in seiner Zeit wurde abgelöst von verspottenden Rezeptionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, um in der gegenwärtigen Zeit wieder Ausgangspunkt einer endlosen Reihe wissenschaftlicher Arbeiten zu sein. Langfristig konnte er sich schließlich doch seinen verdienten Platz in der Literatur sichern und gehört neben Dickens, Eliot, Austen und anderen zu den bedeutendsten englischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund dieser Popularität soll an folgender Stelle nun Sullivans Oper unter rezeptionsästhetischen Aspekten untersucht werden.



4.2. Die Rezeption Sullivans Ivanhoe

Wer seine Zeitung Anfang Februar 1891 aufschlug, konnte fast sicher sein, dort einen Artikel über Sullivans neue Oper Ivanhoe zu entdecken. Jede seriöse Londoner Zeitung berichtete zum Teil sehr ausführlich über die Premiere, die schon im Vorfeld sehr viel Aufsehen erregte. Diese Zeitungsberichte reichten von euphorischen Lobeshymnen gegenüber dem “Genie Sullivan”, über neutrale Anmerkungen zum Inhalt der Oper bis hin zu einigen kritischen Äußerungen, die vor allem in The World vorzufinden waren.

 

In Abhängigkeit von den Ambitionen der Autoren wird Sullivans Ivanhoe heute entweder als Triumph gefeiert, oder aber zu einem peinlichen Ausrutscher des großen Meisters degradiert. Obwohl die abwertenden Meinungen gegenwärtig in der Überzahl sind, wurde die Oper nach ihrer Uraufführung von fast allen Kritikern und Zuschauern als ein großartiges zukunftsweisendes Ereignis gepriesen. Die New York Times schrieb beispielsweise: “Ivanhoe is the most important English opera yet written.” (February 1st, 1891, 1) Diese Aussage über Sullivans erste ernste Oper ist mehr als nur eine übertriebene Lobeshymne, spiegelt aber doch die unmittelbare Euphorie der Premiere wider.

 

Am 31. Januar 1891 wurde Cartes königliches englisches Opernhaus vor einem enthusiastischen Publikum mit der Sullivan Oper Ivanhoe eröffnet. Um die Finanzierung des grandiosen Hauses zu sichern, sollte die Oper täglich aufgeführt werden und verfügte aus diesem Grund über eine doppelte Besetzung mit ausschließlich englischsprachigen Sängern. Das Orchester war mit 63 Musikern fast doppelt so groß wie das des Savoy und auch die 72 Chormitglieder stellten eine außerordentliche Anzahl dar. (vgl. Saremba 1993, 243) Dieser Uraufführung gingen jedoch mehrere Spekulationen und Vorankündigungen voraus, die einen Erfolg gewissermaßen herausforderten.

 

Noch bevor Sullivan begann, seine eklektische Oper zu komponieren, wurden in der Presse Spekulationen über den Inhalt verfasst, die nicht der Wahrheit entsprachen. Ohne über das Produkt überhaupt im Bilde zu sein, kündigte die Presse ein revolutionäres Meisterwerk an, das einzigartig sei und ein großer Erfolg werden würde. Die New York Times berichtete beispielsweise schon am 17. April 1890, also acht Monate vor der Uraufführung, über Sullivans neue Oper und veröffentlichte falsche Hypothesen:

 

[...] The title and plot are religiously guarded, but the story, it is said, is to deal with modern times, and promises to be full of interest. (New York Times 17. April 1890, 2)

Die Annahme, dass sich Sullivans neues Werk mit der modernen Zeit auseinandersetze, entwickelte sich höchstwahrscheinlich aus der Vorankündigung, dass es sich bei der Oper um ein revolutionäres Stück handeln würde. Anscheinend kannte der Verfasser dieses Artikels Sullivans Interview mit der San Francisco Chronicle aus dem Jahr 1885 (vgl. Kapitel 2.3.) nicht, wo er eigentlich schon zu jenem Zeitpunkt verriet, dass er sich bei seiner neuen großen Oper mit einem historischen Sujet beschäftigen werde. Der Meister kündigte seine aufsehenerregende Oper demnach schon fünf Jahre vor ihrer Entstehung persönlich in der Presse an, was das gesteigerte Interesse der Öffentlichkeit erklärt. Sullivans Publizität in der Musikwelt, vor allem aber in Großbritannien und den USA, war so außergewöhnlich, dass sein neues, groß angekündigte, Werk von allen Liebhabern mit Spannung erwartet wurde.

 

Nicht zuletzt sorgte Sullivans Manager D´Oyly Carte, der sich am Morgen vor der Uraufführung über die Presse direkt an das Londoner Publikum richtete, für wachsende Neugier im Voraus. In seiner Vorankündigung wirbt er besonders mit seinem zukunftsweisenden Vorhaben, die englische große Oper in seinem neu errichteten Theater etablieren zu wollen. Dieses Konzept konnte jedoch nur funktionieren, wenn das Londoner Publikum sein Theater auch regelmäßig besucht. In einer Pressemitteilung appellierte er an die Londoner mit folgenden Worten:

Ladies and Gentlemen, - I am endeavouring to establish English Grand Opera at the new theatre which I have built. To inaugurate such an enterprise nothing seems more suitable than an opera written by the foremost English composer, Sir Arthur Sullivan. [...] Whether it will succeed or not depends on whether there is a sufficient number of persons interested in music and drama who will come forward and fill the theatre. I believe there is: but this remains to be proved [...] (zit. nach: Jacobs 1992, 329)

 

D´Oyly Carte beherrscht den Umgang mit der Publizität ausgezeichnet. Er reicht die Verantwortung für den Erfolg der Oper an das Londoner Publikum weiter, indem er ihm zu verstehen gibt, dass sein Interesse an Ivanhoe der englischen Oper zu einer neuen Bedeutung verhelfen könne. Gleichzeitig weist Carte die Schuld für ein mögliches Scheitern dieses Projekts von sich. Tatsächlich liegt die größte Schuld für das Scheitern der Etablierung eines englischen Opernhauses mit ausschließlich englischen Opern vermutlich jedoch bei Carte selbst. Er besaß nämlich außer Ivanhoe keine weiteren englischen Opern in seinem Repertoire. Auf dieses Thema wird jedoch im 5. Kapitel noch genauer eingegangen.

 

All diese Vorankündigungen weckten große Erwartungen und Hoffnungen in der Öffentlichkeit, die jedoch Schwierigkeiten erahnen lassen. Sturgis und Sullivan hätten etwas Einmaliges und Unglaubliches schaffen müssen, um diesen großen Erwartungen zu entsprechen. Aber allein ein Blick auf die Dramaturgie des Werkes lässt befürchten, dass sie diese Bedingungen nicht wirklich erfüllen konnten.

 

Im anschließenden Abschnitt wird nun untersucht, welche Reaktionen das Londoner Publikum und die Presse nach Sullivans Uraufführung zeigten. Neben den ersten euphorischen Rezeptionen nach der Uraufführung werden die kritischen und abschätzigen Rezeptionen analysiert. Anschließend werden vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels in der englischen Musik nach 1920 die Einflüsse auf die Ivanhoe-Rezeption herausgestellt.

4.2.1 Der überwältigende Erfolg der Ivanhoe-Oper

Kritikerlob ist ein Kredit, den der Künstler nicht mit Leistung abzahlen muss. Wer einmal einhellig gelobt wurde – auch zu Unrecht – kann lange versagen.

Oliver Hassencamp


Lässt man alle negativen Ivanhoe–Rezeptionen außer Acht, so stellt die Oper ein einmaliges Ereignis in der britischen Operngeschichte dar. Sie kann auf erstaunliche 160 Aufführungen an aufeinanderfolgenden Tagen zurückschauen, eine Leistung, die zuvor keine ernste britische große Oper vorweisen konnte. (vgl. Jacobs 1992, 331) Weitere nennenswerte Erfolge der Oper sind nicht nur ein ausverkauftes Haus, sondern auch das Interesse eines elitären Publikums, einschließlich des Prinzen und der Prinzessin von Wales sowie des Herzogs und der Herzogin von Edinburgh, die bei der Premiere anwesend waren. Sullivans eklektische Oper eröffnete außerdem das größte und modernste Theater seiner Zeit. Es umfasst 1.976 Sitze, die jedoch schon im Voraus ausverkauft waren. Die Boston Sunday Herald berichtete über den Andrang bei dieser großartigen Premiere:

 

[...] the rush for places was unheard of. There were 10.000 applications, and sojourning Americans have been offering $50 to $100 for seats without avail [...] The nature of the first–night audience was a guarantee of immediate approval, and in that no expense had been spared there was much to commend. Everything was on the grand scale – this, after all, was grand opera. Sullivan used the largest opera he had so far employed. (zit. nach: Percy 1971, 233)

 

Die Premiere wurde als ein einzigartiges Erlebnis gefeiert, das alle Schwächen und Angriffspunkte der Oper in den Hintergrund drängte. Nichts deutete zu jenem Zeitpunkt darauf hin, dass dieses Werk bald an Popularität verlieren und in Vergessenheit geraten würde. Am Morgen nach der Premiere erschienen Lobeshymnen in der Presse, die Sullivan fast ausschließlich als Genie feierten. So konnten beispielsweise in The Illustrated London News, folgende lobende Worte gelesen werden. “[...] there is set forth on its stage a story which is the inalienable birthright of every Englishman; and the story is told to music which is, above and before every thing, English.” (7. Februar 1891, 168) Sullivan fand in Worten wie diesen die Bestätigung dafür, dass er seinen Traum einer zukunftsweisenden englischen Nationaloper verwirklicht hatte. Jede distinguierte Person gratulierte ihm zu seinem großartigen Erfolg. Selbst Graf Hochberg aus Berlin sicherte sich sofort die Rechte, Ivanhoe an der Hof-Oper aufführen zu können. Auch Wien und Paris erkundigten sich, inwieweit eine englische Oper in ihren Ländern Erfolg haben könnte. (vgl. Sullivan 1950, 209) Mit einem Wort, Sullivan fühlte sich auf dem Höhepunkt seines Erfolges und in seinen Fähigkeiten als ernster Komponist bestätigt.

Auch das später so oft kritisierte Libretto von Julian Sturgis wurde von den meisten Kritikern mit keinem Wort verurteilt, sondern als Meisterleistung emporgehoben. In The Times waren folgende Worte über das Libretto zu lesen:

Mr. Julian Sturgis, who has constructed an admirable book, adhering with remarkable fidelity and skill to the course of events in the novel, and even to its diction divided into 3 scenes, and it is only fair to say alternation is made in deference to stage conversation. (The Times 2. Februar 1891, 5)

 

Selbst die Neue Zeitschrift für Musik veröffentlichte am 11. Februar einen wohlwollenden Artikel über die Premiere der Oper, eine weitere Bestätigung für die zunächst enthusiastische Rezeption Ivanhoes, sowie Sullivans Popularität auch außerhalb Großbritanniens:

Sullivan´s dreiactige Oper Ivanhoe, textlich nach dem bekannten Roman Walter Scotts bearbeitet, hat bei ihrer Erstaufführung in London durchschlagenden Erfolg gehabt. Die Kritik äußert sich übereinstimmend sehr günstig über das neue Werk und bezeichnet die Musik als durchweg melodiös, packend und dabei gänzlich originell: nur in der Instrumentierung tauchen hier und da Ideen auf, welche Wagner´s Musik entlehnt sind. (Neue Zeitschrift für Musik, 11. Februar 1891, 68)

 

Eine solche Euphorie mag von mehreren Ursachen beeinflusst sein: Zum einen darf Sullivans Stellung in der Musikwelt zu jener Zeit nicht unterschätzt werden, andererseits gingen dieser Oper Vorankündigungen voraus, die ein Scheitern der Oper beinahe unmöglich machten. Weiterhin könnte eine andere Tatsache die positive Kritik beeinflusst haben. Königin Victoria höchst persönlich unterbreitete Sullivan den Vorschlag, Scotts Roman Ivanhoe zu adaptieren und beanspruchte demzufolge einen Teil der Verantwortlichkeit für den Erfolg der Oper für sich. Nach der erfolgreichen Aufführung der Savoy-Oper The Golden Legend, zu der auch Königin Victoria anwesend war, schrieb Sullivan am 8. Mai 1888 folgenden Auftrag der Königin in sein Tagebuch:

Very good performance. Afterwards the Queen sent for me and expressed her pleasure at having heard the work. Her first words were ´At last I have heard The Golden Legend, Sir Arthur!´ Later said: ´You ought to write a grand opera, you would do it so well.´ Her Majesty was very gracious and kind. (zit. nach: White 1983, 319)

 

Sullivan nahm sich die Aufforderung der Königin sehr zu Herzen und wurde dadurch in seinem Vorhaben ermutigt. Die Tatsache, dass Königin Victoria einen Teil der Verantwortlichkeit für die Oper für sich in Anspruch nahm, verschaffte einigen Kritikern möglicherweise Respekt vor Ivanhoe und machte sie kritiklos gegenüber offensichtlichen Fehlern. Die Bestätigung, dass sich die Königin über die Pressemitteilungen stets genau informierte, wird in einem Brief der Prinzessin Louise an Sullivan deutlich, den er am 3. Februar 1891 erhielt:

The Queen wishes me to write and tell you with what pleasure she sees in the papers of today that your opera met with such a great success on Saturday. It is a particular satisfaction to her, as she believes it is partly owing to her own instigation that you undertook this great work [...] (zit. nach: White 1983, 325)

 

In wieweit das elitäre Publikum und die positive Resonanz der Öffentlichkeit Einfluss auf die zunächst sehr positiven Rezeptionen hatte, wird auch in einem Artikel von George Bernard Shaw, dem berühmten Literatur- und Musikkritiker, der zu jener Zeit für The World arbeitete, deutlich. In seiner ersten Kritik über die Oper hatte Shaw kein einziges gutes Wort für die Aufführung übrig. In einem zweiten Beitrag änderte er jedoch seine Meinung mit folgender Begründung:

On second thoughts I have resolved to suppress my notice of Ivanhoe. I was upon my high horse last week when I wrote it; and when I went on Saturday, and saw how pleasantly everything went off, and how the place was full of lovely and distinguished persons, and how everybody applauded like mad at the end, and, above all, how here at last was an English opera-house superbly equipped for its purpose, I felt what a brute I had been to grumble – and that, too, after having been indulged with peeps at the proofs of the score, admission to rehearsals, and every courtesy that could pass betwixt myself and the management, without loss of dignity on either side. (zit. nach: Jacobs 1992, 332)

 

Obwohl sich Bernhard Shaw selbst als unparteiisch und unbestechlich beschreibt (vgl. Stresau 1986, 54/55), fühlte er sich an dieser Stelle anscheinend verpflichtet, eine Entschuldigung für seinen abschätzigen Artikel nachzureichen, da es sich bei diesem Opernprojekt um einen Beitrag für die Etablierung eines englischen Opernhauses handelte. Außerdem erkannte er, wie euphorisch das renommierte Londoner Publikum diese Ritteroper aufnahm. Obwohl er Ivanhoe offensichtlich nicht als Meisterleistung ansah, schien er sich von dieser ersten Euphorie beeinflussen zu lassen und sich für seine kritischen Worte zu entschuldigen. Bei genauerer Betrachtung dieser Entschuldigung kann jedoch festgestellt werden, dass Shaw zwar die positive Resonanz des Publikums beschreibt, dabei allerdings einen ironischen Unterton benutzt, der seine Entschuldigung wieder unglaubwürdig erscheinen lässt. Es scheint beinahe so, als ob dieser zweite Artikel unfreiwillig auf Wunsch einer höhergestellten Person verfasst wurde, was jedoch gegen Shaws Persönlichkeit sprechen würde.

 

Nichts desto trotz fühlte sich Sullivan, der die ersten drei Aufführungen selbst dirigierte, darin bestätigt, dass dieses neue Werk seine Popularität als erfolgreichen Komponisten noch erhöhen würde und seine Savoy-Opern an Bedeutung übertreffen könnte. All die schlaflosen Nächte, in denen er an Ivanhoe komponierte, und all die Zweifel, die sein neues Vorhaben mit sich brachte, schienen sich nun in Wohlgefallen aufzulösen. Endlich konnte er seine Musik in den Vordergrund stellen und musste sich nicht den Worten Gilberts unterordnen. Sir Arthur Sullivan fühlte sich glücklicher und bestätigter als je zuvor in seinem Leben. Selbst die hundertste Aufführung am 25. Mai 1891 ließ noch nichts vom baldigen Misserfolg der Oper erahnen. Sullivan dirigierte auch diesen Abend wieder selbst und schrieb anschließend folgende Worte in sein Tagebuch: “Crowded and enthusiastic house. I conducted and received ovation.” (zit.nach: Jacobs 1992, 334)

 

Nicht nur zur Premiere, sondern auch zur Wiederbelebung Sullivans ernster Oper in Covent Garden im Jahre 1910 gab es vereinzelt anerkennende Worte. Besonders beeindruckt schien die Presse von der teuren Bühnenausstattung dieser drei Aufführungen gewesen zu sein. Im Vorfeld kündigte die Daily News am 3. März, also zwei Tage vor der geplanten ersten Aufführung, die Wiederaufnahme der Oper mit folgendem Artikel an:

One of the costliest productions from a spectacular point of view ever staged at Covent Garden will be the great revival of Sullivan´s ”Ivanhoe” next Tuesday. When the opera was first staged at the Palace Theatre the scenic mounting was regarded as something to be wondered at, but the spectacular display then will be as nothing compared to what the Covent Garden management intend to show us on Tuesday. Entirely new scenery has been painted and built for the whole opera, and the cost of the production will amount to 5,000 pounds ... (zit. nach: Mitchell 1977, 198)

 

Dass Sir Thomas Beecham, der Organisator des Wiederbelebungsversuchs, diese unglaubliche Summe in die Wiederaufführung einer Oper steckte, zeugt von einem starken Glauben an die gute Qualität von Ivanhoe. Dieser Versuch, Sullivans einziger ernster Oper noch eine Chance zu geben, kann aber auch gleichzeitig als eine Art Hommage an den zehn Jahre zuvor verstorbenen Meister interpretiert werden. Leider konnte aber auch diese mutige Tat die Ivanhoe-Oper vor dem Verschwinden in die Vergessenheit nicht bewahren.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die zunächst beinahe einheitliche positive Resonanz auf die Oper von mehreren Faktoren beeinflusst wurde. Zunächst einmal existierten Vorankündigungen, die das Interesse der Öffentlichkeit auf das Werk lenkten. Da sich Sullivan zu jenem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Karriere befand, war es ein leichtes Unterfangen, die Aufmerksamkeit des breiten Publikums auf sein neues zukunftsweisendes Stück zu lenken. Sullivan war seit zehn Jahren so populär, dass es nahezu egal war, was er schrieb. Eine weitere Ursache für die erste Euphorie der Zuschauer und Kritiker mag außerdem das beeindruckende und prachtvolle Theater, welches Carte allein für diese Oper bauen ließ und das Ivanhoe eine besondere Atmosphäre verlieh, dargestellt haben. Nicht zuletzt hatte die Anwesenheit der gehobenen Gesellschaft während der Premiere sowie das Interesse der Königin an der Oper eine wichtige Wirkung. Denn ein Werk, das von einer solchen Prominenz mit Wertschätzungen gepriesen wurde, durfte kein Fehlschlag sein.



4.2.2. Der große Fall nach der ersten Euphorie

Nichts schmerzt so sehr wie fehlgeschlagene Erwartungen, aber gewiss wird auch durch nichts ein zum Nachdenken fähiger Geist so lebhaft wie durch sie erweckt.

Benjamin Franklin

Wie groß muss die Enttäuschung für Sullivan gewesen sein, als sein großer Traum plötzlich zu scheitern begann. Die einhundertste Aufführung der Oper war zwar ausverkauft, aber schon zu jener Zeit gab es an einigen Abenden nur ein halb volles Theater. Es schien wie ein Lauffeuer durch London zu ziehen, dass Sullivans große Oper eine dreistündige Aufführung mit teilweise langatmigen Passagen sei, deren Unterhaltungswert mit den Savoy-Opern nicht zu vergleichen war. Plötzlich wurde diese zukunftsweisende Oper von zunehmend kritischen Stimmen begleitet, bis sie dann nach 160 Vorstellungen abgesetzt werden musste.

 

John Wolfson, der Besitzer des Ivanhoe-Manuskripts, zeigt auf, wie viele Schicksalsschläge Sullivan zu jener Zeit verkraften musste. Sir Arthur hatte seinen Traum, seinen Ruf und seine Beziehung zu Gilbert verloren und musste ein Jahr später dafür auch mit seiner Gesundheit bezahlen. (vgl. Wolfson 1976, 7) Es kann nur spekuliert werden, welche Qualen Sullivan durchlitt. Denn diese Niederlage wurde weder in seinem Tagebuch festgehalten, noch in der Sullivan-Biographie von Arthur Lawrence, die 1899 also noch zu Lebzeiten des Komponisten erschien.

 

Es gab, wie schon erwähnt, neben den überwiegend positiven Resonanzen nach der Uraufführung, auch einige kritische Stimmen, die nicht wie die breite Masse in Ivanhoe die große zukunftsweisende Oper sahen. Der wagnerbegeisterte und musikalische Bernhard Shaw schrieb in seiner ersten Kritik über die Oper kein positives Wort:

Proceeding then at once to the faults of Ivanhoe, I maintain that it is disqualified as a serious dramatic work by the composer’s failure to reproduce in music the vivid characterisation of Scott, which alone classes the novel among the masterpieces of fiction ...Take for example Scott’s Bois-Guilbert, the fierce Templar, the original “bold, bad man”, tanned nearly black, disfigured with sword-cuts, strong, ambitious, going on for fifty, a subject for Verdi or Velasquez. Is it possible to sit patiently and hear the music of the drawing room, sensuous and passionate without virility or intelligence, put into the mouth of such a figure? Not with all the brass and drum sauce in the world. (zit. nach: Jacobs 1992, 332)

 

Shaw, selbst Sohn einer Sängerin, sah in Sullivan keine Qualitäten eines ernsten Komponisten. Nachdem Sir Arthur Jahrzehnte lang nur komische Opern komponiert hatte, sprachen ihm einige kritische Stimmen, besonders aber Bernhard Shaw, die Fähigkeit ab, ernste Musik zu komponieren. Dabei versuchte Sullivan schon seit Jahren, seinen Status als Operettenkomponist, der vorrangig heitere Musiken schrieb, loszuwerden. Aber dieses Experiment, eine ernste Oper an 160 aufeinanderfolgenden Tagen aufzuführen, war mehr als riskant. Es ist fraglich, welche große Oper solch einem Anspruch hätte standhalten können.

Aufführungen neuer Kompositionen sind immer vom Hintergrund und von den Vorurteilen der Kritiker abhängig. (vgl. Percy 1971, 235) Beinahe in allen Zeitungen, die über die Ivanhoe Premiere einen Artikel veröffentlichten, war die Kritik positiv. Dass der unbestechliche Einzelgänger Bernhard Shaw sich gegen Sullivans Ivanhoe aussprach, mag nicht einmal sehr überraschend gewesen zu sein, war Shaw doch als schwer zufriedenstellender Kritiker in der Öffentlichkeit bekannt. Es gab jedoch noch einen anderen zum Teil kritischen Bericht über die Ivanhoe-Premiere. Der Journalist des Boston Sunday Herald schrieb am 1. Februar 1891 nach zunächst eher schmeichelnden Worten folgende negative Bemerkungen über die Oper:

Nevertheless the popular taste may possibly find a sameness in its course which will fail to win for its great popularity. There is no single movement, no grand aria or grand march - nor is there any particular melodic movement calculated to arouse enthusiasms. It is complete and finished rather than inspirational. (zit. nach: Percy 1971, 235)

 

Wie Bernhard Shaw behandelt auch dieser Kritiker Ivanhoe als eine große Oper und nicht wie sie eigentlich ausgeschrieben ist: als eine romantische Oper. Dies könnte als eine Erklärung dafür dienen, warum es in Ivanhoe keine großen Arien und Märsche gibt, die sowohl von Shaw als auch von dem Kritiker des Boston Sunday Herald vermisst werden.

 

Nach 160 Aufführungen musste Carte Ivanhoe schließlich absetzen und sein neues Theater blieb dunkel. Der Versuch, die englische große Oper wieder populär zu machen, entwickelte sich zu einem finanziellen Desaster. Carte hatte keine anderen englischen Opern auf dem Spielplan. Als sich endlich die Türen des Theaters wieder öffneten, wurde das französische Werk La Basoche aufgeführt, das wie eine Verspottung des Theaters wirkt.

 

Als die Oper nach 160 Aufführungen abgesetzt war, wurden die kritischen Stimmen immer lauter, und plötzlich wurde aus der Erfolgsoper ein des Vergessenheit anheim gegebenes unqualifiziertes Werk. Bevor es jedoch ganz von der professionellen Bühne verschwand, sollte es noch zwei Wiederaufnahmen geben, wovon die erste 1895 in Berlin stattfand. Percy spekuliert, dass die von Königin Victoria unterstützte besondere Beziehung zwischen England und Deutschland in Zusammenhang mit der Aufführung Ivanhoes in Berlin steht. (vgl. Percy 1971, 237) Graf Hochberg hatte sich die Rechte einer Produktion Ivanhoes an der Hofoper zwar schon 1891 gesichert, jedoch kam es erst 1895 zur Aufführung. Wie in der Allgemeinen Musik-Zeitung am 15. Februar 1895 zu lesen war, wurde die geplante Aufführung von Anfang 1895 auf das Ende des Jahres verlegt. “Sullivans Ivanhoe ist einstweilen bis zum nächsten Jahre zurückgelegt worden, obwohl die Oper bereits fertig einstudiert war.” (Allgemeine Musik-Zeitung 15. Februar 1895, 102) Die Ursache für die Verschiebung war auch der Presse anscheinend nicht bekannt. Bevor die Aufführung dann endgültig am 26. November stattfand, musste sie zuvor wegen Erkrankung zweier mitwirkenden Damen noch einmal um eine Woche verschoben werden, wie die Allgemeine Musik-Zeitung zu berichten weiß.

 

Da auch der Kaiser die Generalprobe in Berlin besuchen wollte, reiste Sullivan nach Deutschland, um aus diesem Anlass anwesend zu sein. Am 26. November hatte Ivanhoe seine erste und auch letzte deutsche Aufführung. Obwohl die Partitur dem deutschen Geschmack angepasst wurde, scheiterte die Oper in Berlin am Publikum und an den Kritikern. In der Berliner Aufführung wurde die Oper in 4 Akte eingeteilt, wobei die 3. Szene des 3. Aktes der Originalaufführung die 1. Szene des 4. Aktes der Berliner Aufführung darstellte. Der Redakteur der Allgemeinen Musik-Zeitung Otto Lessmann, der für seine positive Meinung gegenüber englischer Musik in Großbritannien bekannt war, schrieb nun ein durchschlagendes Urteil gegen Sullivans Ivanhoe:

Sullivan´s Ivanhoe hat, wie wir schon in der vorherigen Nummer berichteten, an der kgl. Oper nur geringen Beifall gefunden. Derselbe erklärte sich genugsam aus der Beschaffenheit des Buches und der Partitur. Unter der verschlissensten, abgelagertsten Schablone der alten Oper ist aus Walter Scott´s gleichnamigem Roman ein Textbuch zurechtgeschnitten worden, das an Unverständlichkeit und Zusammenhangslosigkeit mit den schlechtesten Vorbildern wetteifern kann, und zu diesem jämmerlichen Machwerk hat der geistvolle Komponist des Mikado eine Musik geschrieben, die so nichtssagend und öde in der Erfindung, so konventionell in der Mache, so aller Eigenart bar ist, daß sie dem Buche würdig zur Seite steht. An die Aufführung ist viel Fleiß, viel Mühe und Sorgfalt, vor allem auch viel Geld verschwendet worden, die Oper war aber trotz prächtiger Ausstattung nicht zu retten, und der Liebe Müh´ umsonst. (Allgemeine Musik-Zeitung, 6. Dezember 1895, 299)

 

Der Artikel in der Zeitschrift Neue Musikalische Presse lobte zwar zunächst die prachtvolle Bühnendekoration, äußerte sich dann aber auch kritisch gegenüber Sullivans Ritteroper. An dieser Kritik ist interessant die Bemerkung über die Beziehung der Königin Victoria zum deutschen Kaiser, sowie die damit zusammenhängende Gunst gegenüber Sullivan:

Mit einer szenischen Pracht, wie sie unsere Oper bisher nicht bot, ging gestern A. Sullivan´s Ivanhoe in Scene. Der künstlerische Erfolg des Werkes war der erwartete unbedeutende. Der Componist des Mikado wird nie der Schöpfer des Ivanhoe genannt werden, wie man auch Weber stets den Freischütz-, nie den Euryganthen-Componisten nennt. – Den grossen Formen steht Sullivan rathlos gegenüber, das Lied ist sein Herrschgebiet. Seine Instrumentation ist diskret, bleibt aber nicht geschickt, wenn er mehr als begleiten, wenn er malen will. Der Hauptfehler der ganzen Oper ist Mangel an Erfindung und Charakteristik, und nur die Gestalt der Ulrika redet eine einigermassen eigenartige Musiksprache. [...] A. Sullivan erfreut sich der Gunst seiner Landesmutter, und so war es denn bei den nahen Beziehungen derselben zu unserem Kaiser natürlich, dass alles geschah, um dem Werke zum Erfolg zu verhelfen. (Neue Musikalische Presse 1. Dezember 1895, 3/4)

 

Auch die Neue Zeitschrift für Musik verlor kein gutes Wort über die Berliner Aufführung:

[...] Das Textbuch, das inhaltlich mit Marschners “Templer und Jüdin” übereinstimmt, bietet in dieser Bearbeitung ein solches wirres Durcheinander, ein solches Chaos von Situationen, Begebenheiten, Verwandlungen, von rätselhaften Persönlichkeiten, daß es schwer werden dürfte, die Handlung auch annähernd zu beschreiben. Umsoweniger wäre ich im Stande das zu thun, als mir, nachdem ich das Textbuch gelesen und der Handlung auf der Bühne aufmerksam gefolgt bin, der Zusammenhang noch nicht klar geworden ist. (Neue Zeitschrift für Musik 1. Januar 1896, 6)

 

Als Sullivan nach der Berliner Ivanhoe Aufführung die deutschen Zeitungen las, fühlte er sich tief desillusioniert und unverstanden von den Deutschen. (vgl. Percy 1971, 238) Er, der in Leipzig studiert hatte und nicht nur Deutschland, sondern auch seine Musik und Komponisten liebte, wurde von diesem Land verstoßen und verlacht. Auch ein Berliner Korrespondent der Chronicle hatte für den Komponisten keine bestärkenden Worte übrig. Vielmehr schrieb er im Sinne der allgemeinen Meinung, dass der Komponist durch den Versuch, eine ernste romantische Oper zu schreiben, ein höheres Ziel anstrebte, als er je erzielen konnte. (vgl. Klein 1903, 169) In Sullivans Tagebuch lassen sich keine Eintragungen über die Berliner Aufführung finden, jedoch sieht Findon gerade darin den Beweis für Sullivans tiefe Enttäuschung. Dabei lag das Scheitern der Berliner Aufführung hauptsächlich an der schlechten Inszenierung. Die bearbeitete Version von Wittmann enthält fast keine Regieanweisungen und ist in ihrer Übersetzung teilweise sehr ungenau. Außerdem fehlte dem deutschen Publikum der Bezug zur englischen Geschichte, die im Ivanhoe als ein typisch nationalstiftender Mythos beschrieben wird. Zwar war Scott in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein bekannter und gefeierter Mann in Deutschland16, jedoch war diese Euphorie am Ende des Jahrhunderts wieder erloschen.

 

“Fünfzehn Jahre später versuchte Thomas Beecham am Covent Garden einen Wiederbelebungsversuch, den er eher als eine Reverenz an den verstorbenen ´englischen Meister´ verstand.” (Saremba 1993, 250) Leider war dieses Vorhaben von Missgunst begleitet. Von den drei geplanten Vorstellungen musste eine ausfallen, da sich eine Zusatzaufführung der erfolgreichen Oper Electra von Richard Strauss ankündigte und sich Ivanhoe gegenüber dieser Oper nicht hätte durchsetzen können. Schon im Vorfeld gab es eher kritische Stimmen, inwiefern diese Oper nach fünfzehn Jahren noch aktuell sein würde. Eine sehr bösartige Kritik erschien nach der Wiederaufführung in The Daily News:

Ivanhoe shows absolutely no talent for dramatic music. What is good is essentially lyrical [...] There is no backbone in it – it is filleted opera. [...] It is a relief [...] when the chorus lapses into the style of the Savoy operas [...] the genuine Sullivan ... Ivanhoe may be recommended to all those whose musical tastes are simple and child-like. (zit. nach: Sir Arthur Sullivan Society 1990, 21)

 

Obwohl bei dieser Produktion keine Kosten gescheut wurden, um Sullivans Werk gerecht zu werden, wurde sie von der Öffentlichkeit weitestgehend schlecht aufgenommen. Auch in The Standard erschien am 9. März 1910 eine für die Wiederaufnahme typische Kritik:

”Ivanhoe” with its pomp and circumstance, jousts and tourneys, hairbreadth escapes, English atmosphere, tuneful music, and masterly instrumentation, is an excellent entertainment; but, viewed in the light of recent operatic developments, it is more suited to the Coliseum than to Covent Garden. [...] Of real dramatic intuition there is little or nothing in the score; of melodramatic conventions, plenty. Melody succeeds melody – and very delightful melodies some of them are – with a persistency that is positively cloying. [...] It is not until we reach the scene between Friar Tuck and King Richard that we discover the reasons that made the Savoy operas a joy for ever and ”Ivanhoe” the indeterminate thing it is. It is the vein of humour we miss – without which even the ”Yeomen”, we shrewdly suspect, would not have achieved greatness. [...] Mr. Sturgis´s book is little more than a series of disconnected tableaux. (zit. nach: Mitchell 1977, 199/200)

 

Diese Kritik zeigt deutlich, warum der Wiederbelebungsversuch an Ivanhoe scheiterte. Die Musik entwickelte sich weiter und obwohl die Ivanhoe-Premiere gerade einmal zwanzig Jahre zurücklag, schien diese Mittelalteroper mit ihren Klischeefiguren veraltet und unpassend zu sein. Dies stellt einen der Hauptkritikpunkte gegen Ivanhoe nach 1920 dar. Darauf wird jedoch im folgenden Abschnitt noch näher eingegangen.

 

Das Scheitern der letzten professionellen Aufführung der Oper trägt Mitschuld am Ausbleiben weiterer professioneller Produktionen bis zum heutigen Tage. Nach dem Wiederbelebungsversuch von 1910 gab es von Ivanhoe nur noch gelegentliche konzertante Aufführungen (1929 durch die BBC) oder vereinzelte Aufführungen durch Amateurensembles (1973 Beaufort Opera London, 1989 durch ein gemischtes englisches Ensemble). Die beiden Strophenlieder ´Ho Jolly Jenkin´ und ´Woo thou thy snowflake´ aus der Oper sind die einzigen, die lange Zeit zum Konzertrepertoire von Sängern gehörten. (vgl. Dahlhaus 1997, 195)


      1. Der Einfluss des Paradigmenwechsels der englischen Musik nach 1920

auf die Ivanhoe-Rezeption

Nachdem der Versuch, Ivanhoe im Jahre 1910 auf einer professionellen Bühne aufzuführen, missglückte, geriet Sullivans Werk, wie schon erwähnt, nahezu in Vergessenheit. Seine Oper verschwand nicht nur von den professionellen Bühnen, sondern wird bis zum heutigen Tag von der Mehrheit der Musikwissenschaftler, die Sullivans Savoy-Opern analysieren, nur am Rande als Fehlschlag erwähnt. Doch woran liegt diese eher ablehnende Haltung gegenüber Sullivans einziger ernster Oper? Hatte sie nicht alle Voraussetzungen, eine Nationaloper zu werden, erfüllt? Warum konnte sich Ivanhoe als Nationaloper nicht durchsetzen, sondern erst die Werke der nächsten Generation? Mag der beliebig wirkende Aufbau von Sturgis Libretto eine Ursache für diesen Zustand darstellen oder beeinflusste Sullivans Entscheidung für Scotts Ritterdrama als Textgrundlage seiner Nationaloper die Ivanhoe-Rezeption, besonders nach 1920? Diese und andere Fragen sollen im folgenden Abschnitt beantwortet werden.

 

Sullivan berücksichtigte einige Aspekte, als er sich für ein mittelalterliches Sujet und seinen musikalischen Stil entschied. Er wollte Musik schreiben, die emotional und dramatisch zugleich war, verbunden mit einem Thema, welches das englische Bewusstsein verkörperte. Der Roman Ivanhoe repräsentierte daher nicht nur ein hoch zelebriertes Erfolgswerk, sondern auch die in der viktorianischen Zeit verehrten ritterlichen Ideale der englischen Geschichte. Denn das viktorianische Lebensgefühl sah sich als Erben der großen Vergangenheit von Ritterspielen und Burgromantik. (vgl. Heinsen 1992, 13) Hiermit versuchte Sullivan alle Voraussetzungen einer Nationaloper zu erfüllen, dessen wichtigster Bestandteil von Dahlhaus wie folgt beschrieben wird: “Die Kategorie des Nationalen in der Musik wäre demnach weniger ein musikalischer Substanz-, als ein politischer und sozialpsychologischer Funktionsbegriff.” (Dahlhaus (1) 1989, 180) Obwohl Sullivan mit seiner Oper nicht nur inhaltlich die Kriterien einer nationalen Musik verwirklichte, sondern auch die Voraussetzung, einen Komponisten von Rang zu repräsentieren, erfüllte, war es ihm nicht vergönnt, sein Werk als Nationaloper zu etablieren.

 

Es war Sir Arthur durchaus bewusst, welche Konsequenzen ein möglicher Erfolg für die englische Operngeschichte haben könnte, wie aus einem Brief hervorgeht:

I am anxious about the result you will understand, as it is a very important epoch in my musical career, and, remember, that if it is successful it will open a great field for other English composers. (zit. nach: Sullivan 1950, 208)

 

Doch was war nun die Ursache dafür, dass Sullivan seine einzige ernste Oper nicht als Nationaloper etablieren konnte? Dahlhaus gibt eine mögliche Antwort auf diese Frage in einer Erklärung, warum die Rettungsoper Iwan Sussanin und nicht die Märchenoper Ruslan und Ljudmilla als russische Nationaloper gilt. Die Ursache liegt in einem verworrenem bunten Handlungsstrang mit blassen Charakteren, die keine Identifikation des Publikums mit den Trägern der Oper zulässt. (vgl. Dahlhaus (1) 1989, 182) Ähnlichen Vorwürfen ist auch Sullivans Oper ausgesetzt und hier liegt die wahre Erklärung, warum Ivanhoe nicht die englische Nationaloper geworden ist, die sie hätte werden können. Ivanhoe besitzt eher blasse Charaktere und wird von einem undurchsichtigen Handlungsstrang durchzogen. Der offensichtlichste Fehler, den Sullivan beging, war demnach, dass er mit Ivanhoe dem Publikum keinen Spaß bereiten, "sondern der Nation moralisch auf die Sprünge helfen wollte.” (Heinsen 1992, 14)

 

Sullivan hatte sich nun einmal einen Namen als Komponist heiterer Musik gemacht, den er mit der Komposition einer einzigen ernsten Oper nicht loswerden konnte. Sir Arthur hätte weitere ernste Oper schreiben müssen, um sich als Komponist ernster Musik durchzusetzen. Bernhard Shaw sieht im Ausbleiben weiterer nationaler Werke die Ursache für den Misserfolg der Ivanhoe-Oper. Fest steht jedoch, dass diese Verfehlung auch die Ivanhoe-Rezeption nach 1920 beeinflusste.

 

Sullivan konnte seinen Traum, Ivanhoe als Nationaloper zu etablieren, nicht erfüllen, denn dies wurde erst seinem Schüler Vaughan Williams und dessen Zeitgenossen vergönnt. Dass sich Sullivans Ivanhoe für Vaughan Williams und andere Komponisten dieser Zeit zum Model der englischen Oper entwickelte, klingt dabei wie eine Ironie des Schicksals. (vgl. Allen 1975, 159) Die Meinung, dass England ein Land ohne Musik sei, wurde noch bis zum Jahre 1914 vertreten, war später jedoch nicht mehr angebracht. (vgl. Samson 1991, 267) Denn zu jener Zeit entwickelte sich die national-englische Operntradition nicht nur weiter, sondern wurde erstmals wieder grenzüberschreitend, als eigener Nationalstil anerkannt. Ursache dafür waren unter anderem Vaughan Williams und Gustav Holst, die sich zwar auf eine zeitgenössische Fortsetzung der einheimischen Operntradition beschränkten, mit ihren volksliedhaften, pastoralen Klängen die britische Nationaloper jedoch durchsetzen konnten. (vgl. Abert 1994, 414) Bis zum heutigen Tage verbindet man mit der britischen Musik diese volksliedhaften Klänge als nationales Element, die der englischen Oper wieder internationale Anerkennung verliehen.17

 

Sullivan beschäftigte sich dahingegen mit einem historischen Sujet, was vor allem die gegenwärtige Rezeption des Werkes stark beeinträchtigt und ein Problem darstellt. Ivanhoe wurde ein halbes Jahrhundert nach den traditionellen Waverley-Opern aufgeführt und war daher eigentlich schon seiner Zeit einen Schritt hinterher. (vgl. White 1983, 325) Zwar assoziierte die allgemeine Auffassung gegen Ende des 19. Jahrhunderts und demzufolge auch Sullivan das Englische an der Musik mit historischen Sujets, jedoch war Walter Scotts Roman Ivanhoe schon siebzig Jahre in der Öffentlichkeit und konnte demzufolge nicht mehr als modernes zukunftsweisendes Werk bezeichnet werden. Der Ivanhoe-Roman war zwar noch Bestandteil der allgemeingültigen Literaturwelt, wurde aber schon seit 1860 teilweise zu einem ideologisierenden Kinderbuch degradiert. (vgl. Kap. 4.1.2.) Auch Winton Dean sieht in Sullivans Entscheidung für den Ivanhoe-Stoff ein großes Problem. “This sort of romantic opera was a good 60 years out of date.” (zit. nach: Meares 1973, 6) Auffallend ist auch die Parallele zwischen der Rezeption des Ivanhoe-Romans und der der Ivanhoe-Opern am Anfang des 19. Jahrhunderts. Scotts Roman wurde in dieser Zeit fast gänzlich aus der Literaturwissenschaft verbannt und zu einer unrealistischen Legende degradiert. Dies ist nicht nur eine Begründung für das Scheitern der Wiederaufnahme der Oper im Jahre 1910, sondern gleichzeitig auch für die eher abwertenden Rezeptionen nach 1920. Das englische Element in der Musik wurde nach 1920 nun einmal mit den volksliedhaften Klängen verbunden und nicht mit einem mittelalterlichen Thema, begleitet von wohlklingenden Melodien.

 

Nigel Burton geht noch einen Schritt weiter und sieht Sullivans größte Schwäche darin, dass er einen allzu positiven, verklärten Blickwinkel auf seine Umwelt hatte. Dies äußert sich vor allem in einem unrealistischen Ansatz seiner Arbeit, besonders auffällig bei Ivanhoe zu betrachten. Der Traum seines Lebens wurde zu einer verhängnisvollen Melanche. (vgl. Burton 2000, 21) Dies mag auch als eine Erklärung für Sullivans Entscheidung dienen, Scotts Ritterdrama als Opernvorlage zu benutzen. Hier handelte es sich nämlich um eine Geschichte, in der das Böse vom Guten besiegt wird und der Held die Heldin heiratet. Es ist kein sozialkritisches Werk, das die vorherrschenden Probleme der britischen Nation beschreibt, sondern der verklärte Blick auf die englische Geschichte, was ganz im Sinne Sullivans zu sein schien.

 

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Sullivan sich für ein Thema entschied, das dem Geist der viktorianischen Zeit entsprach, aber nicht patriotisch war. Zwar verband das viktorianische Großbritannien das Englische mit seiner eigenen Geschichte, jedoch hatte die Euphorie für Scotts historische Romane ihren Höhepunkt schon längst erreicht und befand sich im Abklingen. Waverley-Opern wurden so erschöpfend aufgeführt, dass Sullivans Ivanhoe wie ein verspäteter Beitrag wirkt. Da sich das Volksliedhafte als nationales Element in der englischen Musik durchsetzte, wird Ivanhoe mit seinem historischen Sujet als unpassend und unqualifiziert empfunden. Dennoch darf nicht unerwähnt bleiben, dass ein Erfolg seiner Ivanhoe-Oper die britische Musikgeschichte in eine andere Richtung gelenkt hätte. Sullivan hatte das Poten­tial und die Popularität, um eine Nationaloper zu schreiben, war jedoch an diesem Vorhaben gescheitert. Obwohl Ivanhoe heute nicht als Nationaloper im eigentlichen Sinne gelten kann, so wird ihr doch wenigstens von einem Autor folgende Funktion zugeschrieben:

[...] Ivanhoe (as it takes its place in the general musical historical scene and not just as an ugly duckly amongst the Savoy Operas) could emerge as one of the best of the British Victorian Operas, which, whatever their failings are in art – form in their own right. (Meares 1973, 2)

Auch wenn Ivanhoe weder als eine Nationaloper noch als eine große Oper bezeichnet werden kann, so sollte ihr wenigstens die Anerkennung zu Teil werden, die sie verdient hat: Sie kann nämlich, wie Meares auch bestätigt, als die beste englische romantische Oper der viktorianischen Zeit bezeichnet werden und hat es demzufolge verdient, aus ihrer verlorengegangenen Nische befreit zu werden. Ivanhoe ist ein Zeugnis der viktorianischen Zeit und hat als solches ein Recht darauf, wieder auf professionellen Bühnen aufgeführt zu werden. Beachtet man das gegenwärtige Interesse für historische Sujets, vor allem für die englische und schottische Geschichte, so könnte das Ivanhoe-Thema momentan in der Öffentlichkeit wieder Zuspruch finden. Nicht nur die englischen, sondern auch die deutschen Bühnen sollten dieser Sullivan- Oper eine Chance geben.


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5. Institutionsgeschichte

In jedem Land und in jedem Jahrhundert existieren Künstler, die von der Öffentlichkeit als nationale Repräsentanten ihrer Zeit angesehen werden. Sie fungieren nicht nur als öffentliches Identifikationsobjekt, sondern vertreten auch über die Landesgrenzen hinaus die Merkmale ihrer Zeit und ihrer Kultur. Häufig haben sie etwas Neues auf ihrem Gebiet geschaffen, das die Nachfolgegeneration mit diesen Neuerungen beeinflusst. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind einerseits eine veränderte Wahrnehmung der Vergangenheit, die von solchen nationalen Repräsentanten bestimmt wird, und andererseits eine bewusste sowie auch unbewusste Beeinflussung der Nachfolgekünstlergeneration. Jeder Komponist, Maler oder Schriftsteller muss sich zunächst mit den Werken seiner Vorgänger beschäftigen, bevor er etwas Neues schaffen kann. Somit wird auch jeder Künstler bewusst oder unbewusst von diesen Werken beeinflusst.

 

In Deutschland zählen Fontane, Storm, Kleist, Keller oder Heine für die Literatur und Schumann, Schubert, Beethoven, Wagner oder Weber für die Musik zu den nationalen Repräsentanten des 19. Jahrhunderts. In der englischen Musik und Literatur des 19. Jahrhunderts gehören jedoch ohne jeden Zweifel Sir Walter Scott - der berühmte Schriftsteller historischer Romane - und Sir Arthur Sullivan – der unvergleichliche Savoy-Opernkomponist - dieser elitären Gruppe an, was auf den ersten Blick nicht verwunderlich zu sein scheint. Bei näherer Betrachtung dieser beiden Männer entwickelt sich jedoch zunehmend die Frage, wie sich der schottische Schriftsteller Scott und der Komponist Sullivan (irisch-italienischer Herkunft) zu englischen Repräsentanten ihrer Zeit entwickeln konnten. Sullivan wird sogar eine jüdische Abstammung nachgesagt, wobei sein schmächtiger Körperbau und seine dunklen vollen Locken diese Behauptung bekräftigen. (vgl. Jacobs 1992, 39)

 

Die Gemeinsamkeiten von Scott und Sullivan sind außerordentlich: Beide stellen englische Repräsentanten ihrer Zeit dar, schufen etwas Neuartiges auf ihrem Gebiet, sind auch außerhalb ihrer Landesgrenzen sehr bekannt, erhielten große königliche Aufmerksamkeit, galten als liebenswürdige, umgängliche Persönlichkeiten; jedoch waren sie beide ihrer Herkunft nach keine “wahren” Engländer. Als “wahre” Engländer können sich an dieser Stelle nur jene Personen bezeichnen, die in England als Nachkommen englischer Eltern geboren wurden. Sullivan wurde zwar in London geboren, jedoch waren beide Elternteile nicht englischer Abstammung. Scott hingegen wurde nicht nur in Schottland geboren, wo er sein ganzes Leben verbrachte, sondern hatte außerdem auch schottische Eltern.

 

Vor diesem Hintergrund soll im folgenden Kapitel untersucht werden, wie sich Sullivan und Scott zu englischen Repräsentanten ihrer Zeit entwickeln konnten und welche Vorzüge sie in dieser Position genossen. Inwieweit wurden sie von institutioneller Ebene instrumentalisiert? Jedoch sind hier nicht nur die beiden Künstler Scott und Sullivan von Interesse, sondern vor allem auch ihr jeweiliges Werk Ivanhoe, dass ein weiteres verbindendes Element zwischen den beiden Männern darstellt. Vor dem Hintergrund der Popularität Scotts sowie Sullivans wird die Frage der Institutionalisierung Ivanhoes thematisiert. Beide Männer bewegten sich in königlichen Kreisen und wurden zum Ritter geschlagen. Welchen Einfluss hatte vor allem das Oberhaupt Englands auf ihren Erfolg?

 

Ob die nationale Identität die eigene Identität von Scott und Sullivan verdrängte, soll das Hauptanliegen in diesem Kapitel darstellen. Die Frage nach der nationalen Identität beinhaltet auch immer die Problematik der eigenen Identität. Womit identifizieren wir uns? Was macht uns zu dem, wer oder was wir sind? Die eigene Identität steht immer auch unter dem Einfluss der Gesellschaft in der wir leben - deren Normen, Regeln und Wertvorstellungen. Deshalb ist es wichtig, den Schriftsteller Scott und den Komponisten Sullivan getrennt voneinander in ihrer eigenen Zeit und ihrer eigenen Gemeinschaft zu betrachten. Die Werke Ivanhoe, der Roman, und Ivanhoe, die Oper, können nur vor dem Hintergrund der nationalen Identität der Personen Scott und Sullivan unter institutionsgeschichtlichen Gesichtspunkten untersucht werden.



5.1. Sir Walter Scott - ein Schotte, der zum Engländer wurde?

Der Reichtum gleicht dem Seewasser. Je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man.

Arthur Schopenhauer


Der große Romanschriftsteller Scott wurde als Sohn einer wohlhabenden etablierten schottischen Familie geboren, deren Wurzeln bis ins 10. Jahrhundert zurückreichten. Sein großes Interesse für die Geschichte seines Landes entwickelte sich hauptsächlich aus seinem außergewöhnlichen Familienstammbaum. Er wurde in eine Zeit hineingeboren, die als eine der progressivsten Perioden in der Geschichte Schottlands gilt. Die Landwirtschaft entwickelte sich zwischen 1760 und 1820 vor allem in den Lowlands weiter, die Industrialisierung in England beeinflusste auch Teile Schottlands und der organisierte Handel sowie neue Transportmethoden wurden eingeführt. Der Einfluss der Clan-Schirmherren in den Highlands verlor seine Bedeutung für die Menschen. Dies alles hatte vor allem Auswirkungen auf das soziale und wirtschaftliche Leben in allen Bereichen. (vgl. deGategno 1994, 3)

 

Bemerkenswert erscheint besonders die Tatsache, dass sich der nationalbewusste Schotte für die englische Geschichte und somit für die Vergangenheit seines Erzfeindes interessierte. Zwischen 1808 und 1820 verbrachte er viel Zeit in London und konnte sich so mit dem englischen Literaturmarkt auseinandersetzen. Dieses Wissen setzte er hauptsächlich in seinem Roman Ivanhoe um, wo er die Entstehungsgeschichte Englands als Grundlage benutzte. Außerdem freundete er sich mit dem damaligen regierenden Prinzen und zukünftigen König George IV. an, der Scott und seine Romane verehrte. (vgl. Sutherland 1995, 228)

England befand sich in dieser Zeit in einem chaotischen Zustand, denn der rechtmäßige König George III. litt an einer Nervenkrankheit, die ihn als König außer Kraft setzte. Sein Sohn übernahm deshalb seine Funktion, wurde jedoch erst 1820, nach dem Tod George III., gekrönt.

 

Scott war die erste Person, der der neue König den Baronstitel verlieh, womit ein lang gehegter Wunsch des Schriftstellers in Erfüllung ging. Mit dieser hohen Ehre konnte sich Scotts wie ein Held aus seinem Ritterroman Ivanhoe fühlen, der zeitgleich mit dem Ritterschlag veröffentlicht wurde. George IV. war schon seit längerer Zeit ein Verehrer von Scotts Waverley-Romanen, so dass er den Schriftsteller oft als einen gern gesehenen Gast in seinem Schloss empfing. Zu eher seltenen Begebenheiten, da Scott sein Heimatland Schottland verließ, wurde er nicht nur in London mit sehr viel Respekt begrüßt, sondern auch in den Hauptstädten Dublin und Paris. (vgl. Low 1980, 7) Eine weitere Bestätigung für Scotts Popularität bei dem Monarchen zeugt die Anfertigung eines Portraits des Schriftstellers, welches der neue König in seiner großartigen Galerie in Windsor ausstellte. (vgl. Sutherland 1995, 234) Scott bedankte sich bei König George IV. im Jahre 1829, ein Jahr vor dem Tod des englischen Landesvaters, für seine Anerkennung und widmete ihm die Waverley-Romane.

 

Der eher konservative Scott lebte inmitten einer Zeit von Revolutionen. Persönlich sympathisierte er jedoch nicht mit der französischen Revolution, sondern favorisierte Napoleons erstaunliche Karriere. Scott veröffentlichte 1827 eine neunteilige Napoleon - Biographie, die gleichzeitig die Geschichte der französischen Revolution enthielt. Er akzeptierte und verteidigte die Resultate der vergangenen Revolutionen in Schottland und versuchte sich in einem Mittelweg mit der englischen Krone zu arrangieren. In seinen Werken äußerte er sich nie direkt über die Zustände seiner Zeit, sondern sah seine Aufgabe als Schriftsteller eher darin, als eine Art Vermittler der alten Werte zu fungieren. Sein Hauptanliegen war es, seine Leser zu unterhalten und ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, den Problemen ihrer Zeit zu entfliehen, ohne aber tiefgründige Themen anzusprechen. Scotts Leserpublikum sah in seinen Romanen allerdings mehr als nur eine Möglichkeit, der Wirklichkeit zu entfliehen. Seine Werke waren in der Lage, die Geschichte mit all ihren Menschen und Kulturen wiederzubeleben und den Lesern näher zu bringen.

 

Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Schriftsteller Scott gleichzeitig auch ein Anwalt, Verleger und Geschäftsmann war, der den Luxus liebte. Auch wenn Scotts Biographen versichern, dass er sich nicht für Geld interessierte, liebte er doch alles, was für Geld erhältlich war. Außerdem pflegte er seine sozialen Beziehungen optimal und legte sehr viel Wert auf Prestige. Seinen Erfolg als Schriftsteller und Geschäftsmann lebte er in einem verschwenderischen Lebensstil aus:

[...] he recklessly bought hundreds of acres of land at exorbitant prices, planted trees endlessly, built a sham castle complete with turrets and carvings in simulated oak, and stuffed it with armour, weapons, relics, and curios of every sort [...] (Lauber 1989, 5)

Um sich diesen Luxus leisten zu können, war er genötigt, ständig neue Publikumserfolge zu veröffentlichen. Jedes Jahr erschienen daher mindestens ein oder zwei neue Werke, die er trotz seines schlechten Gesundheitszustands schreiben musste. Nichts durfte den Erfolg seiner Romane unterbrechen und so war er gezwungen, einige Romane wie z.B. Rob Roy sowie auch den größten Teil von Ivanhoe zu diktieren. Es war jedoch nicht verwunderlich, dass er bei einer solchen Fließbandarbeit im Laufe der Jahre einige Handlungen, Dialoge oder Charaktere wiederholte und somit die Qualität seiner Waverley-Romane nicht mehr aufrecht erhalten konnte.

 

Scott kann demnach nicht nur als ein romantischer Schriftsteller historischer Romane bezeichnet werden, der sich von seiner Geschichte und seiner Landschaft inspirieren ließ. Vielmehr war er ein Großgrundbesitzer, Geschäftsmann und Genießer allen Reichtums, der viel Wert auf seine gesellschaftliche Position legte und für die Aufrechterhaltung seines Wohlstandes seine Gesundheit aufs Spiel setzte. Er sah sich gezwungen, seinen Lesern immer etwas Neues zu bieten, ohne dabei seinem Stil untreu zu werden. Das beste Beispiel für eine gelungene Umsetzung dieser Methode repräsentiert sein Ivanhoe-Roman, in dem er sich zum ersten Mal der englischen Geschichte widmete, aber trotzdem seinen gewohnten Stil bewahrte. Dieser Mittelalterroman kann folglich als eine Art gezielt geschriebener Erfolgsroman definiert werden, den Scott zur Steigerung seiner Popularität auf ganz Großbritannien und über die Landesgrenzen hinaus benutzte. Es soll im Folgendem untersucht werden, inwieweit sein Roman Ivanhoe als eine Form von Verrat an seine eigene schottische Identität gesehen werden kann.



      1. Der Roman Ivanhoe - Auslöser für Scotts Popularität in England

Wer in die Öffentlichkeit tritt, hat keine Nachsicht zu erwarten und keine zu fordern.

Marie von Ebner-Eschenbach


Scott konzentrierte sich in seinen Waverley-Romanen bis 1819 immer nur auf die schottische Historie. Er identifizierte sich mit diesem Land und war stolz auf dessen Geschichte. Im Roman Ivanhoe verließ er plötzlich sein gewohntes Gebiet und betrat mit der Verarbeitung der englischen Geschichte Neuland. Sutherland sieht in dieser Zuwendung zur englischen Geschichte in Ivanhoe ein elegantes Kompliment an seinen Verehrer George IV. In Scotts Ritterroman ist der englische Staat paralysiert von einem monarchischen Vakuum. Das Land befindet sich in der Hand von unkontrollierbaren Baronen, an deren Spitze Prinz John steht. Nur die Rückkehr des wahren Monarchen kann das Land noch retten. Diese chaotische Situation spiegelt die vorherrschenden Zustände um 1819 in England wider. Hier regiert der geisteskranke König George III., an dessen Seite ein fähiger Prinz auf den richtigen Moment wartet, die Krone übernehmen zu können. Im Roman wartet der schwarze Ritter auf den geeigneten Augenblick, sein Land von den schamlosen Machenschaften seines Bruders und dessen Anhängern zu befreien. (vgl. Sutherland 1995, 228)

 

Donald Low sieht den Grund für Scotts plötzliches Abwenden von seiner eigenen Geschichte jedoch woanders. “The fresh topic was like ´the untasted spring in the desert´, both for himself and for his readers, and had to appeal of novelty.” (Low 1980, 59) Scott hatte demnach die Befürchtung, sein Publikum würde sich mit seinen schottischen Geschichten irgendwann langweilen. Außerdem wollte der geschäftstüchtige Romancier ein größeres Publikum ansprechen als zuvor und seine Popularität auf ganz Großbritannien und auch darüber hinaus verbreiten.

 

Dieses Vorhaben entpuppte sich als Erfolg, denn Ivanhoe machte Scott europaweit bekannt. Ohne den fremdartigen schottischen Dialekt, der in den Waverley-Romanen vorhanden war, konnte dieser Ritterroman mit seinem eher formalen Standard-Englisch leichter in andere Sprachen übersetzt werden. Das mittelalterliche Thema mit seinen Burgen und Rittern war Teil der gesamten europäischen Geschichte, so dass alle westlichen Leser sich mit dieser Materie identifizieren konnten. Selbst Goethe schien von dem Ivanhoe-Roman angetan und sah in ihm eine ganz neuartige Kunst, die ihre eigenen Gesetze verfolgt. (vgl. Lauber 1989, 90)



5.1.2. Ivanhoe – eine identitätsstiftende Legende

Laut Sutherland schuf Scott mit diesem historischen Roman ein nationales Thema. (vgl. 1995, 229) Natürlich gab es vor Ivanhoe schon eine Vielzahl von identitätsstiftenden Legenden, jedoch keine, welche die Entstehung Englands aufzeigt. Durch Ivanhoe war Scott zu einem erheblichen Teil mitverantwortlich für die Entwicklung eines Bewusstseins für die verschiedenen Volksgruppen in Großbritannien. Im Roman werden nicht nur die Sachsen als das von den Normannen unterdrückte Volk dargestellt, sondern es erfolgt auch eine Legitimierung antisemitischer Stereotypen durch die Beschreibung des Juden Isaac. Er wird als der stereotype jüdische Wucherer beschrieben, der für seine Feigheit und seine Habsucht verachtenswert ist, gleichzeitig aber auch menschliche Züge besitzt, die durch seine Liebe zu seiner Tochter zum Ausdruck kommen. Demnach erfährt das Leserpublikum einerseits, dass sich England aus den sächsischen und normannischen Volksgruppen entwickelte, und andererseits, dass Antisemitismus schon immer Teil seiner Geschichte war. Stereotype Portraits von Juden in der Literatur waren natürlich keine Seltenheit. Vielmehr gehörte der habsüchtige falsche Jude schon zu einer Art Grundausstattung besonders in Theaterstücken. Shakespeares The Merchant of Venice und Marlows The Jew of Malta sollen an dieser Stelle nur exemplarisch genannt werden.

Vor diesem Hintergrund wäre zu überdenken, ob Ivanhoe eine identitätsstiftende Legende ist, die jedoch nur von dem englischen Leserpublikum als solche empfunden werden kann. Im Roman werden die Sachsen als das von den normannischen Eindringlingen unterdrückte Volk beschrieben. Die boshaften Charaktere im Roman sind ohne Ausnahme Normannen, so wie der tyrannische Templer Brain de Bois-Guilbert, der hinterhältige de Bracy, der geldgierige Prinz John oder der brutale Front-de-Boeuf, die dem Land Schaden und Leid zufügen. Nur der tapfere Sachse Ivanhoe und der Sachsenfreund König Richard sind in der Lage, ihr Vaterland vor dem Untergang zu retten. Dass König Richard eigentlich ein Normanne ist, aber trotzdem von den Sachsen anerkannt wird, geht aus dem Kampf von Torquilstone hervor, wo er Seite an Seite mit den Sachsen kämpft.

 

Mit diesen Klischeefiguren kreierte Scott ein nahezu rassistisches Denken, das die Menschheit in dunkelhäutige Barbaren und hellhäutige Friedensstifter unterteilt. Das englische Publikum konnte sich dementsprechend mit den friedfertigen Sachsen identifizieren, die sich gegen die dunklen barbarischen Normannen verteidigen mussten. In einer Zeit, in der Napoleon besiegt wurde und sich England zu einer außergewöhnlichen Weltmacht entwickelte, schien dieser Roman die vorherrschenden Umstände sehr eindeutig zu beschreiben. Mit einer solchen identitätsstiftenden Legende konnten sich Scotts Zeitgenossen gleichzeitig für ihre unmenschlichen Behandlungen kolonialer Unterdrückung rechtfertigen, da sie ja offensichtlich schon im Mittelalter die überlegenere Volksgruppe waren, die den unzivilisierten dunkelhäutigen Menschengruppen ihre Werte vermitteln mussten.18

 

Im frühen 19. Jahrhundert waren monogenetische und polygenetische Theorien populär. Die monogenetische Theorie ging davon aus, dass alle Volksgruppen den gleichen Ursprung besitzen und von Adam und Eva hervorgingen. Die polygenetische Theorie konzentrierte sich weitestgehend auf die physiognomischen Unterschiede der Menschen und ging von verschiedenen Ursprüngen der Menschheit aus. Diese Theorie wurde vor allem von Robert Knox, einem Zeitgenossen Scotts, popularisiert, der eine Überlegenheit der hellhäutigen Menschengruppen gegenüber den dunkelhäutigen propagierte. (vgl. Sutherland 1995, 229) Teilweise kann diese Theorie auch in Scotts Ivanhoe entdeckt werden, der die unschuldige sächsische Rowena als blonde, blauäugige Schönheit beschreibt und den Templer als tyrannischen Normannen, mit groben dunklen Zügen, dessen Gesicht von der Sonne schon fast schwarz gebrannt wurde:

 

High features, naturally strong and powerfully expressive, had been burnt almost into Negro blackness by constant exposure to the tropical sun [...] (Scott 1986, 19)

Um den grausamen Charakter des Templers noch zu verstärken, versieht ihn Scott mit einer schwarzen Dienerschaft, die auch vor Greueltaten nicht zurückschreckt.

 

Den Roman Ivanhoe vor dem Hintergrund einer identitätsstiftenden Legende zu betrachten, vermittelt das Bild eines zuvor eher unbekannten Scott, der sich anscheinend sehr gut mit den angelsächsischen Vorfahren identifizieren kann und seinen Mitmenschen diese Identität auch vermitteln möchte. Demzufolge sah sich Scott einerseits zwar als Schotte, andererseits bevorzugte er in Ivanhoe dennoch die Angelsachsen, also die Vorfahren der Engländer. Da die Schotten von dem keltischen Volk abstammen, erscheint die Favorisierung der Angelsachsen wie ein Verrat an seinem eigenen Volksstamm. Deshalb ist an dieser Stelle zu hinterfragen, inwieweit sich Scott wirklich mit dem schottischen Volk identifizierte oder ob er mit diesem Ivanhoe Roman nicht zeigte, dass er sich eher mit der überlegeneren englischen Bevölkerung verbunden sah. Natürlich darf nicht vergessen werden, dass Ivanhoe gezielt als Erfolgsroman geschrieben wurde, mit dem Scott seine Popularität vergrößern wollte, dennoch beinhaltet dieser Mittelalterroman genügend Ansatzpunkte, um eine Bevorzugung des angelsächsischen Volkes herausstellen zu können.

 

Im anschließenden Abschnitt wird herausgearbeitet, ob auch Sullivan seiner eigenen Identität entsagte, um den gesellschaftlichen Normen seiner Zeit gerecht werden oder sich dem Luxus hingeben zu können, wie Scott es vorlebte.



5.2. Sir Arthur Sullivan – der Liebling der Königin – mit seinen zwei Gesichtern

Image ist eine maßgeschneiderte Zwangsjacke.

Robert Lembke


Sullivan gilt bis zum heutigen Tag als einer der wichtigsten und einflussreichsten englischen Komponisten der viktorianischen Ära. Sein gesamtes Leben verbrachte er unter der Regentschaft Königin Victorias, “die für fünfundsechzig Jahre den höchsten Rang im britischen Weltreich einnahm.” (Saremba 1993, 24) Diese Tatsache wirkte nicht nur nachhaltig auf Sullivans Persönlichkeit, sondern vor allem auch auf seine Arbeit. Die Werke von Gilbert und Sullivan repräsentieren bis in die Gegenwart hinein ein viktorianisches Lebensgefühl und sein Gedankengut, was von den prominentesten Personen des Landes mit Hochachtung geschätzt wurden.

 

In einer Zeit, in der Großbritannien von kontinentaler Musik dominiert wurde und englische Komponisten nur sehr vereinzelt kleinere Erfolge feiern konnten, schaffte es Sullivan in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Gilbert, heitere englische Opern über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher nicht sehr verwunderlich, dass Sullivan adäquat in der Gunst der Königin stand. Er gelangte im Laufe der Jahre zu so großem Ansehen, dass er nicht nur sozial von dem Prinzen von Wales und dessen Freunden akzeptiert wurde, sondern sich auch regelmäßige Besuche in modernen kontinentalen Ferienorten leisten konnte. Aber es gab auch eine andere Seite des Komponisten, der “[...] privat ein Salonlöwe und leidenschaftlicher Spieler [...]” (Saremba 1994, 44) war und der sich allzuoft über die Massenproduktionen seiner Savoy-Opern beschwerte.

 

Sullivan war ein Mann der Kontraste, der es genoss, sich in der High Society zu bewegen, sie gleichzeitig aber auch verspottete; er wollte ein großer Komponist sein, verschwendete gleichzeitig aber seine Zeit mit Pferderennen und Glücksspiele und empfand eine zunehmende Abneigung gegen Gilberts topsy–turvy Geschichten, komponierte aber nur eine einzige ernste Oper. Vor allem den Traum von einer neuen großen Oper, die nicht nur ein Vertonen von Silben zulässt, sondern in der die Musik die geistige Wirkung der Worte intensiviert, verfolgte er, wie schon erwähnt, über mehrere Jahre hinweg. Dass Königin Victoria Sullivan darin bestärkte, eine ernste Oper zu komponieren und dabei gerade in einem Scott-Roman die geeignete Vorlage sah, ist nicht nur ein Beweis für Sullivans Stellung in der gehobenen Gesellschaft, sondern auch für Scotts Einfluss bis über das Ende des 19. Jahrhunderts hinaus. Der Grund für Königin Victorias Vorschlag, gerade den Scott-Roman Ivanhoe als ideale Vorlage einer englischen Nationaloper zu betrachten, könnte mit der großen Verehrung von König George IV. für den schottischen Schriftsteller in Zusammenhang stehen. Dieser Ritterroman repräsentierte die nationalen Ideale, die auch noch zur viktorianischen Zeit gültig zu sein schienen.

 

Wie alle Angehörigen der High Society musste auch Sullivan ein Doppelleben führen, um dem Verhaltenskodex, der von der englischen Landesmutter selbst vorgelebt wurde, entsprechen zu können. Saremba führt in seiner Sullivan-Biographie die zwiespältigen Lebensweisen der viktorianischen High Society auf, deren sich auch Sir Arthur beugte. Obwohl sich Gilbert und Sullivan in ihren komischen Opern über die vorherrschenden Gesellschaftsnormen lustig machten, waren sie keine politisch aktiven Künstler, die ihre Gesellschaft ablehnten. Sullivan selbst hegte, wie auch schon Scott, Sympathien für die Tories. Klein, ein guter Freund von Sullivan, macht deutlich, wie das Leben des Komponisten organisiert war:

Sullivan was not naturally what one would term a born worker. He turned to labour not so much for love of it as through sheer necessity. The most successful and popular English musician of his day, a great favourite with royalty, the enfant gaté of society, the demands upon his time were so excessive that it was a marvel how he managed to get through his long list of public and private engagements[...] (Klein 1903, 194/ 95)

 

Trotz einiger kritischer Bemerkungen der Königin gegen Sullivans aktuelles Werk Iolanthe, wurde er im Mai 1883 zusammen mit seinem Freund George Grove und dem schottischen Komponisten Alexander Macfarren auf Schloss Windsor zum Ritter geschlagen. In Iolanthe regiert die böse Feenkönigin, die einen direkten Bezug zur englischen Königin darstellt, was dieser natürlich missfiel. Bemerkenswert ist bei diesem Ritterschlag, dass Gilbert diese Ehre nicht zuteil wurde, dessen Name eigentlich genauso bekannt war, wie der von Sullivan. Damit zeigte die Landesmutter offenkundig ihre Missbilligung gegenüber den satirisch spitzen Worten des Librettisten. Indem sie Sullivan nun zum Ritter schlug, appellierte sie an sein Verantwortungsgefühl, seines Standes gemäß seriöse Musikwerke zu komponieren. Von Seiten der Presse, aber auch von seinem Freund George Grove wurde er gedrängt, sein Talent nicht mit “Kaufhaus-Balladen” zu verschwenden. (vgl. Saremba 1993, 184) Am 8. Mai 1888 ermahnte die Königin Sullivan dann sogar persönlich, endlich eine große Oper zu schreiben, die seiner Stellung in der Gesellschaft entsprechen würde. (vgl. Kap. 4.2.1.)

 

Betrachet man demnach die Erwartungshaltung der Königin, der Presse, sowie einiger Freunde gegenüber Sullivans Musikschaffen, so wird deutlich, unter welchem Druck Sullivan stand, als er sich endlich dazu in der Lage sah, seine erste und leider auch einzige ernste Oper Ivanhoe zu komponieren. Natürlich war es sein größter Wunsch, eine große Nationaloper zu schreiben und nicht mehr die satirischen Worte Gilberts zu vertonen. Er wollte der englischen Oper wieder auf die Beine helfen und sie über die Landesgrenzen hinaus berühmt machen. Obwohl er von allen Seiten in seinem Vorhaben unterstützt wurde, befand er sich unter einem enormen Erwartungsdruck, dem er gerecht werden musste. Das Problem lag vor allem darin, dass er zunächst noch die Savoy-Oper The Gondoliers fertigzustellen hatte und durch seine Arbeit als Dirigent bei dem Festival in Leeds sowie durch die Streitigkeiten mit Gilbert von seiner Arbeit abgehalten wurde.

 

Sullivan hatte sich demzufolge zu einem beliebten Komponisten seiner Zeit entwickelt, der sich in der Öffentlichkeit keine Eskaparden erlaubte und sich dem Verhaltenskodex der Königin unterwarf. Indem er jahrelang in Zusammenarbeit mit Gilbert Musik komponierte, die er teilweise selbst verurteilte, stellt sich die Frage, inwieweit Sullivan seine eigene Identität als ernster Komponist für ein Leben in Luxus aufgab.

 

Mit diesem neuen Projekt konnte er nun endlich seine Qualitäten als ernster Komponist unter Beweis stellen. Jedoch war auch nur Sullivan vor dem Hintergrund seiner nationalen und internationalen Popularität sowie als Günstling der Königin im Stande, ein Projekt wie Ivanhoe zu bewerkstelligen. Keinem bekannteren Komponisten seiner Zeit hätte eine solch große Verantwortung, also die Etablierung der ernsten englischen Oper, übertragen worden können.

Das Bemerkenswerte an dieser neuen Oper war, dass sie eine zuvor unbekannte professionelle Vorbereitung bis ins letzte Detail erfuhr, die mit gegenwärtigen Marketingstrategien vergleichbar sind. Ivanhoe sollte die englische Nationaloper werden und englische ernste Opern über die Landesgrenzen hinaus wieder salonfähig machen. Es wurde zum Ereignis der Superlative, das jedoch nicht lange vorhielt.


      1. Die perfekt geplante Nationaloper Ivanhoe

Sullivans erste und einzige ernste Oper wurde schon Jahre vor ihrer Uraufführung öffentlich angekündigt (vgl. Kap.4.3.), von der gehobenen Gesellschaft erwünscht und von D´Oyly Carte als Plan ausgearbeitet. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts konkurrierten immer mehr englische Komponisten mit Cartes Erfolgsduo Gilbert und Sullivan. Unter der Leitung der Carl Rosa Company wurden unterschiedliche Opern von englischen Komponisten aufgeführt: Goring Thomas´s Esmeralda (1883) und Nadeshda (1885), Mackenzies Colomba (1883) und The Troubadour (1884), Stanfords The Canterbury Pilgrims (1884) und Frederick Corders Nordisa (1887). (vgl. Lamb 1973, 475) Obwohl diese Opern nicht sehr erfolgreich waren, schien Carte in ihnen eine Konkurrenz gegenüber Gilberts und Sullivans Opern zu sehen. Deshalb machte er sich diese neue Entwicklung zu Eigen, indem er den Plan entwickelte, die englische große Oper in seinem Land zu etablieren.

 

Es gab schon vorausgehende Versuche, die englische Oper in Großbritannien durchzusetzen. Einer der ersten Schritte in diese Richtung wurde 1834 unternommen, als das neu renovierte Lyceum Theatre als Theatre Royal und English Opera House wiedereröffnet wurde. Dieses Projekt überdauerte drei Jahre, in denen über einhundert Opern für dieses Haus geschrieben und aufgeführt wurden. David Eden beschreibt in der Sir Arthur Sullivan Society Broschüre noch weitere Vorhaben, die englische Oper durchzusetzen.

 

Als Carte nun sein Projekt in die Tat umsetzen wollte, wusste er, dass er etwas Einmaliges und Großartiges zu leisten hatte, um dieses Vorhaben auch realisieren zu können. Das eindrucksvollste und bestausgestattete Theater, das bis zu diesem Zeitpunkt jemals in England gesehen wurde, war das Mindeste, was Carte seinem Londoner Publikum bieten wollte. Schon am 15. Dezember 1888 wurde die Grundsteinlegung für das neue Gebäude, an der auch Gilbert und Sullivan teilnahmen, durchgeführt. (vgl. Goodman 2000, 62) Das beste Baumaterial war gerade gut genug, um diesem neuen Opernhaus seinen Glanz zu verleihen. Carte schien keine Kosten für dieses Vorhaben zu scheuen:

Designed by Colcutt and Holloway, the new theatre was built in three tiers of red Ellistown brick and Doulton terra-cotta, with arcaded windows and deep balconies. The grand staircase was supported on columned arches and the proscenium finished in green Italian marble, Mexican onyx and alabaster. An independent generator provided electric power for 2,000 lamps, the sole source of light. Every available luxury was lavished on the interior furnishings and the latest stages machinery was installed. The galleries were cantilevered, and a royal, retiring room was specially provided. (Goodman 2000, 62)

 

Carte spekulierte natürlich darauf, dass seine beiden besten Künstler, Gilbert und Sullivan, sein prunkvolles Opernhaus mit einem gemeinsamen neuen Werk eröffneten, jedoch machte ihm Gilbert ein Strich durch diese Rechnung. Der etwas launische Librettist sprach sich wegen des laufenden Teppich-Streits mit Carte sowie der ungünstigen Lage des Theaters gegen das königliche englische Opernhaus aus. Die Konsequenz daraus war die Zusammenarbeit zwischen Sullivan und Sturgis, die mit ihrer Scott-Adaption Ivanhoe am 31. Januar 1891 Cartes Opernhaus eröffneten. (vgl. Goodman 2000, 63)

 

Die Musikzeitschrift The Musical Times macht die Ausmaße der professionell geplanten Vorbereitung der Oper Ivanhoe in ihrer Rezension deutlich:

Though not published in book forms, volumes have been written, since the date of our last issue, upon the subject of Sir Arthur Sullivan´s opera. Rarely has interest in a new work been so carefully – we will not say artfully – developed and stimulated as in the case of Ivanhoe. Paragraphs appeared long ago, like single spies, and then as whole battalions. As the day of production drew near the morning papers opened with their big guns, and general huzzaing to the glory of composer, librettist, and manager. (The Musical Times 1. März 1891)

Niemand zweifelte an der Professionalität, die diese Oper in ihrer Vorbereitung erfuhr. Das Resultat war ein bei der Uraufführung überfülltes enthusiastisches Haus mit einem ausgewählten Publikum, dem der Prinz von Wales und andere gesellschaftlich hoch angesehene Persönlichkeiten angehörten. Sullivan bedankte sich bei der Königin für ihre Bestärkung, diese Oper zu komponieren und widmete sie ihr: “[...] by special permission / to / Her Most Gracious Majesty / THE QUEEN / at whose suggestion this work was written, / in grateful acknowledgement/ of Her Majesty´s kind encouragement.” (Saremba 1993, 243) Ironischerweise hat sich die Königin Sullivans große Oper nie angesehen.


5.2.2. Ein folgenschwerer Fehler

Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andre ihn begehen.

Georg Christoph Lichtenberg


Obwohl Carte zweifellos sein großes Talent als Manager bei diesem Projekt bewies, unterlief ihm ein essenzieller Fehler, der all die vorherigen Lobespreisungen wieder zunichte machten. Das Problem bestand darin, dass er sich nicht hundertprozentig darum bemühte, eine weitere englische Oper im Repertoire zu haben, die die Ivanhoe-Oper ablösen konnte. Er konnte unmöglich davon ausgehen, dass Sullivans Ivanhoe einer permanenten Aufführung an seinem Opernhaus standhalten würde. In Jacobs Sullivan-Biographie kann nachgelesen werden, dass Carte dem Komponisten Frederic Cowen um eine große oder auch komische Oper bat, die Sullivans Ivanhoe hätte folgen können. Anscheinend wurde diese Oper jedoch niemals fertig gestellt, so dass Carte später von allen Seiten für seine Leichtfertigkeit, die englische Oper mit nur einem Werk etablieren zu wollen, angegriffen wurde.

 

In seiner Not sicherte sich Carte die Rechte an dem französischen Werk La Basoche von Messager, das wie ein höhnischer Spot gegen das königliche englische Opernhaus klang. Nachdem Ivanhoe seine hundertfünfzigste Aufführung überstanden hatte, wurde das Theater für drei Monate geschlossen und mit abwechselnden Aufführungen von Ivanhoe und La Basoche wiedereröffnet. Dieser Plan, die beiden Opern parallel laufen zu lassen, missglückte jedoch und das Opernhaus musste nach nur einem Monat wieder geschlossen werden. Als sich die Türen des Theaters zwei Monate später wieder öffneten, stand nur noch die Oper von Messager auf dem Spielplan, die eine Spielzeit von sechs Monaten überdauerte, dann jedoch auch abgesetzt werden musste. Dass Carte die Oper La Basoche in seinem Theater aufführen ließ, spiegelt die miserable Lage wider, in der er sich befand. Er versuchte ein kompliziertes Projekt – die englische ernste Oper zu etablieren und sich damit gegen die italienische Oper durchzusetzen - ins Leben zu rufen, scheiterte jedoch schon nach einem Jahr an diesem Experiment und musste sein Opernhaus an Sir Augustus Harris verkaufen, der es als Varieté Theater wiedereröffnete.

Es ist ein schwieriges Unterfangen, die genaue Ursache für das Scheitern des Projekts zu ergründen. Auf der einen Seite steht die misslungene Planung Cartes, nur mit einem Werk die englische Oper etablieren zu wollen. Auf der anderen Seite gibt es noch die Kritik an Sullivans Oper selbst, die nach ihrem Absetzen oft als Fehlschlag bezeichnet wurde, obwohl sie 150 Aufführungen an aufeinanderfolgenden Tagen standhielt. Zuletzt ist die Ursache für das Scheitern wohl auch direkt beim englischen Publikum zu suchen, das nur kontinentale Opern, wie italienische, deutsche oder französische, als gute Opern anerkannte. Höchstwahrscheinlich war es das Zusammenwirken aller drei Faktoren, die der Konstituierung eines englischen Opernhauses entgegenstanden.



5.3. Zusammenfassung

Die Untersuchung des Einflusses der Institution auf die eigene und nationale Identität erweist sich als schwieriges Wagnis. Eine wichtige Erkenntnis aus dieser institutionsgeschichtlichen Analyse ist jedoch, dass öffentliche Identifikationsobjekte wie Scott und Sullivan oftmals nur als idealtypische Vertreter ihrer Zeit gesehen werden. Sie werden als nationale Repräsentanten auf einen Podest platziert, was sie als eine Art von Propheten darstellt. Dabei wird oftmals vergessen, dass sie auch nur Menschen mit ihren Fehlern und Problemen waren.

 

Scott liebte nicht nur den Luxus, sondern war auch ein raffinierter Geschäftsmann und trotz seiner Nationalität ein guter Freund des englischen Königs. Auf der einen Seite identifizierte er sich mit seinem schottischen Volk und dessen Geschichte, verfasste jedoch einen klischeehaften Mittelalterroman, der die Geschichte seines eigentlichen Erzfeindes England dokumentierte. Die Figurendarstellung in diesem Roman unterteilt die Charaktere eindeutig in die Guten, die Angelsachsen, und die Bösen, die Normannen. Hiermit bekennt sich Scott unweigerlich zu den Angelsachsen als souveränere Rasse. Die Hauptursache, dass der schottische Romancier einen solchen Vertrauensbruch gegenüber seinem eigenen Volk verübte, lag an seiner Liebe zum Luxus. Um seinen Lebensstandard aufrecht erhalten zu können, verriet er seine eigene schottischen Identität und wurde zum Engländer.

 

Sullivan hingegen versuchte durch den Ivanhoe-Stoff seine eigene Identität wiederzuerlangen. Obwohl er lieber ernste Musik geschrieben hätte, musste er auch dann noch heitere Opern schreiben, als er sie schon eher verabscheute. Seinen hohen Lebensstandard konnte er nur durch künstlerische Erfolge beibehalten, die er nun einmal nur in Zusammenarbeit mit Gilbert erzielen konnte. Seine Oper Ivanhoe sollte demzufolge, konträr zu Scott, als Anfangspunkt seiner Identitätsfindung fungieren. Wenn er mit dieser ernsten Oper Erfolge hätte aufweisen können, wären höchstwahrscheinlich noch andere ernste Opern die Schlussfolgerung gewesen und sein Traum von der Etablierung der englischen ernsten Oper wäre in Erfüllung gegangen. Der Misserfolg dieses Vorhabens hatte nicht nur eine weitere Vorurteilsbestätigung, dass England ein Land ohne Musik sei, zur Folge, sondern auch eine persönliche Niederlage Sullivans, der mit diesem Projekt einen Teil seines Enthusiasmus´ verlor.


6. Schlussbetrachtung

Anhand der komparatistischen Analyse unter Berücksichtigung werkimmanenter Dramaturgie, öffentlicher Rezeption und der Institutionsgeschichte ließen sich unterschiedliche Ursachen für das endgültige Scheitern der Oper Ivanhoe ermitteln. Natürlich kann Sullivans Manager Carte, als einer der Hauptverursacher durch sein falsches Management beschuldigt werden. Er versuchte, diese ernste Oper genauso zu vermarkten, wie Gilbert und Sullivans heitere Opern. Dass sich diese Entscheidung als sehr großer Fehler herausstellte, kann dem Geschäftsmann jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn er war kein Musikexperte, sondern glaubte einfach an den Erfolg Sullivans.

 

Vielmehr lässt sich aufgrund dieser Arbeit die Ursache für das Fehlschlagen der Oper bei Sullivans Entscheidung, Scotts Roman Ivanhoe als Vorlage seiner Nationaloper zu benutzen, finden. Dieser Roman war nicht nur schon 70 Jahre Bestandteil der Literaturwelt und damit ein eher veralteter Stoff, sondern diente außerdem unzähligen anderen Opern als Vorlage, Jahre bevor Sullivan sich für dieses Thema entschied. Demzufolge erscheint diese Oper wie ein verspäteter Versuch, aus einem zum ´Kinderbuch degradierten Roman´, eine Nationaloper zu verfassen.

 

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Aufbau des Romans selbst. Ivanhoe enthält große Szenarien mit eher passiven Charakteren, die für eine Opernvorlage ungeeignet sind. Deshalb musste Sullivan die Eigenschaften seiner Charaktere selbst entwickeln, um sie für die Oper interessant zu machen. Hierbei handelt es sich um klischeehafte Figuren, die jedoch keine sozialkritischen Misstände aufzeigen. Aber nicht nur die Charaktere sondern auch der komplexe Aufbau des Romans mit seinen 150 verschie­den­en Romanfiguren verkomplizierte eine Opernadaption. Da Sullivan die Haupthandlung des Romans wiedergeben wollte, wirkt das Endprodukt teilweise wie eine willkürliche Aneinanderreihung von Ereignissen, ohne einen narrativen Bogen besitzen.

 

Nicht zuletzt bedeutet Scotts Nationalität eine Unstimmigkeit, da es fraglich ist, inwieweit ein Schotte in der Lage ist, eine nationalitätsstiftende Geschichte seines eigentlichen Erzfeindes zu schreiben, ohne dabei in eine Art Identitätskonflikt zu geraten. Demzufolge mag Sullivans Entscheidung, Scotts Mittelalterroman als Vorlage für eine englische Nationaloper zu wählen, auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache als Fehlgriff bezeichnet werden.

Ungeachtet all dieser Kritikpunkte existieren aber auch eine Anzahl von Beweggründen, die Sullivans Entscheidung für Scotts Ivanhoe als Opernvorlage gerechtfertigen. Scott galt auch noch zur viktorianischen Zeit als ein angesehener und weltbekannter Schriftsteller, dessen Roman Ivanhoe von der Mehrheit der Öffentlichkeit als ein perfektes Portrait der nationalen Identiät Englands angesehen wurde. Hiermit enthielt dieser Roman die Grundvorraussetzungen für eine eklektische Oper, wie Sullivan sie sich vorstellte. Die Charaktere waren aus ´Fleisch und Blut´, die große Dramatik des Romans eignete sich gut für eine Opernadaption, und da die typische englische romantische Oper oftmals Ritter und Helden enthielt, schien Ivanhoe auch in dieser Hinsicht die ideale Vorlage zu bilden.

 

In seiner Vorstellung von seiner eklektischen Oper sprach Sullivan nicht nur davon, dass er aussagekräftige Charaktere brauchte, sondern auch von einer Geschichte, die menschliche Gefühle und Leidenschaften zu enthalten habe. Seine Musik solle zum Herzen sprechen und nicht zum Kopf. (vgl. San Francisco Chronicle, 1885) Die Charaktere, die Scott in seinem Roman beschreibt, sind aus verschiedenen sozialen Schichten und unterschiedlicher nationaler Herkunft und scheinen auf dem ersten Blick diesen Anforderungen Sullivans gerecht zu werden. Das Problem des passiven Helden bleibt jedoch für die Oper bestehen, denn wie kann sich ein Publikum mit einer Hauptperson identifizieren, die entweder getarnt oder verletzt auftritt und in einer ganzen Szene überhaupt nicht erscheint.

 

Es gibt demnach einerseits eine Anzahl von Gründen, die Sullivans Entscheidung für Scotts Roman erklären, andererseits können aus heutiger Sicht genügend Aspekte aufgeführt werden, die als Ursache für den Misserfolg der Oper stehen. Die Hypothese, ob Sullivans Entscheidung für Scotts Ivanhoe-Stoff aus heutiger Sicht nachvollziebar ist oder die Hauptursache für das Scheitern der Oper darstellt, kann also nicht eindeutig beantwortet werden. Rückblickend mögen sich mehrere Gründe aufzeigen lassen, warum die Oper scheiterte: Falsches Management, veralteter Stoff, unqualifizierte Aufführungen, übertriebene Lobespreisungen bei der Uraufführung und eine falsche Behandlung der Oper im Nachhinein sind nur einige dieser Ursachen. Jedoch sind die meisten dieser Fehler nicht direkt mit der Qualität der Oper in Verbindung zu bringen, sondern vielmehr das Produkt einer falschen Erwartungshaltung. Sullivan war nun einmal einer der erfolgreichsten viktorianischen Komponisten, der in Zusammenarbeit mit Gilbert ein Erfolgswerk nach dem anderen hervorbrachte. Mit Ivanhoe wagte er sich jedoch an ein Gebiet, die englisch-romantische große Oper, heran, was von seinen Landsleuten nicht ernst genommen wurde. Er wollte eine englische Nationaloper schaffen, so wie es seine tschechischen Kollegen Smetana mit Libussa (1881) oder Janácek mit Sárka (1888) erfolgreich demonstrierten. Das englische Publikum schien sich jedoch vornehmlich mit den deutschen, italienischen oder französischen ernsten Opern identifizieren zu wollen und konnte erst die Werke von Vaughan Williams als englische National­opern akzeptieren.

 

Eine Tatsache sollte dennoch nicht vergessen werden. Sullivans Ivanhoe kann nicht nur als ein Zeugnis der viktorianischen Zeit betrachtet werden, sondern auch als eine der besten britischen Opern dieser Ära. Eine adäquate Aufmerksamkeit gegenüber dem Werk wäre also mehr als gerechtfertigt, die beispielsweise in einer professionellen Wiederaufführung zum Ausdruck gebracht werden könnte. Diese Arbeit hat aufgezeigt, dass der Oper eine ungerechte Behandlung widerfahren ist, die als Ursache für ihre momentan unglückliche Lage angesehen werden kann. Selbstverständlich hat die Ivanhoe-Oper auch ihre Schwächen, die jedoch genauso zuverlässig bei bekannteren und beliebteren Opern gefunden werden können.

Nur eine aktuelle Wiederaufführung wäre in der Lage, die echten Qualitäten der Oper zum Vorschein zu bringen bzw. auch ihre Schwächen. Um ihr dabei jedoch gerecht zu werden, müssten einige Merkmale beachtet werden: Zunächst sollten die Sänger der Hauptrollen den Anforderungen ihrer Charaktere gerecht werden und nach den unter Kap. 3.2.1. beschriebenen Stimmfachverteilungen ausgesucht werden. Außerdem wäre ein ausführliches Programmheft vonnöten, das die Zusammenhänge zwischen den Szenarien, die nicht eindeutig aus der Oper hervorgehen, erläutern. In einer Generation, in der Scotts Ivanhoe nicht mehr Bestandteil der allgemeingültigen Lektüre ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Publikum den teilweise verworrenen Handlungsstrang der Oper nachvollziehen kann. Weiterhin wäre es sehr von Vorteil für die Oper, wenn die Reihenfolge der einzelnen Szenen dem Originalskript entnommen wird und nicht der Londoner Uraufführung, die einen ungünstigen Austausch der Szenen im 2. Akt aus bühnentechnischen Problemen vornahm. Im Hinblick auf das gegenwärtige Opernpublikum, das von multimedialen Spezialeffekten verwöhnt ist, wäre es fatal, eine altmodische Inszenierung ohne Einsatz von multimedialer Technik in Erwägung zu ziehen. Um das Interesse der Leute auf eine Oper zu lenken, die seit Jahrzehnten nicht mehr aufgeführt wurde, sollte die Aufführung einerseits etwas Spektakuläres und Einmaliges enthalten und andererseits ein aktuelles Statement vermitteln.

 

Bei diesen Überlegungen geht es jedoch nicht vorrangig um eine Wiederbelebung der Oper in Großbritannien, sondern um den Versuch, sie in Deutschland bekannt zu machen. Dabei sollte sie aber keiner Übersetzung zum Opfer fallen müssen, was bei der heutigen Bedeutung der englischen Sprache in diesem Land auch nicht notwendig wäre. Die Legende von Robin Hood und König Löwenherz sind auch bei uns so allgegenwärtig, dass die Thematik keine größere Einführung benötigen würde, um sie dem Publikum näher zu bringen.

 

Durch die Analyse der werkimmanenten Dramaturgie, öffentlichen Rezeption und Institutionsgeschichte entwickelten sich auch einige Fragestellungen, die in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden konnten, für eine ausführlichere Untersuchung dieser Thematik jedoch von Interesse sind. Sullivan hat Ivanhoe als romantische Oper ausgeschrieben. Dieser Aspekt liefert Ideen für eine Untersuchung zu Sullivans deutschen Einflüssen (Mendelssohn, Schumann, Schubert, Liszt usw.), sowie zu denen von anderen Ritter- und Kreuzfahrtopern dieser Zeit (Rossini, Verdi). Inwiefern zeigten andere englische Opern des 19. Jahrhunderts Wirkung auf Sullivan? Welche Parallelen ergeben sich aus einer vergleichenden Untersuchung zwischen Sullivans Ivanhoe und Marschners Die Jüdin und der Templer? Welche verbindenden Elemente lassen sich zwischen Sullivans Schauspielmusiken (Macbeth, King Arthur) und Ivanhoe erkennen? Diese und andere Ansatzpunkte wären interessante Themen, die in der Musikwissenschaft bislang noch keine Beachtung fanden, dennoch von großem Interesse sein dürften. Vielleicht konnte mit dieser Arbeit eine kleiner Anstoß in diese Richtung gegeben werden, denn Sullivans Oper ist es sicherlich wert, mehr Beachtung von der Musikwissenschaft zu erhalten.

 

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Fussnoten:


Diese Arbeit kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sie versucht vielmehr anhand der ausgewählten Punkte, eine kritische Betrachtung der Problematik vorzunehmen und Anstöße für weitere Fragestellungen in diese Richtung zu geben.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal recht herzlich bei Herrn Meinhard Saremba bedanken, ohne dessen Ratschläge, Ideen und gute Kontakte diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Scotts Original The Pirate.

Scotts Original The Bride of Lammermoor

Scotts Original The Fair Maid of Perth

Stan Meares nennt diese Oper von Balfe als den größten Einfluss auf Sullivans Ivanhoe. “ It reads like a prologue to Ivanhoe ... Ivanhoe stands with its feet in Il Talismano.” (Sullivan Society 1990, 9)

Carte hatte 500 Pfund für neue Teppiche im Savoy - Theaters ausgegeben. Diese Summe erschien Gilbert nicht nur viel zu hoch, sondern auch unnötig und entfachte so einen Streit zunächst nur zwischen ihm und dem Manager, zog jedoch später auch Sullivan mit hinein.

Die e-mail Adresse lautet: savoynet@bridgewater.edu und sie ist offen für jeden Gilbert und Sullivan Interessierten.

Ivanhoe wird am Ende der 3. Szene enttarnt, fällt jedoch gleich darauf in Ohnmacht.

Im 3. Akt, 3. Szene kämpft der verwundete Ivanhoe gegen Bois-Guilbert, um Rebeccas Unschuld zu beweisen. Bois-Guilbert fällt Tod zu Boden, obwohl er nicht verwundet wurde.



Bei der vergleichenden Gegenüberstellung findet sich das Libretto immer auf der linken Seite und die Scott Vorlage auf der rechten. (Scott, Walter: Ivanhoe, 8. Ed., Penguin, London 1986)

Die andere Arie ist Friar Tucks Ho Jolly Jenkin.

Ein interessanter Aspekt ist auch der Einfluss Goethes auf Scott. Sein 1774 uraufgeführtes Schauspiel Götz von Berlechingen wurde 1799 von Scott ins Englische übersetzt und beeinflusste die Torquilstone-Szene im Ivanhoe.

vgl. Bibliographie besonders Pritzkuleit 1991 und Bestek 1992

Verfilmungen der schottischen Geschichte (Braveheart, Rob Roy) oder der englischen Geschichte (Der erste Ritter) sind nur einige Beispiele dafür.

Scott war in Deutschland derart populär, dass ein deutscher Verleger, als ersichtlich wurde, dass Redgauntlet nicht rechtzeitig für die Leipziger Buchmesse 1824 erscheinen könne, kurzerhand einen Ersatz schrieb, den er unter dem Titel Walladmor veröffentlichte. “Auf den Rheindampfern konnte man elegante junge Damen mit schottengemusterten seidenen Sonnenschirmen > á la Sir Walter Scott < beobachten [...]” (Cecilia Powell in: Fath 1995, 18)

Zwar kann in Eric W. White: A History of English Opera nachgelesen werden, dass Balfe schon Mitte des 19. Jh. seine englischen Opern auf dem Kontinent etablieren konnte, es sich dabei jedoch um Werke handelte, die sich nicht durchgesetzt haben.
England weitete seine Kolonien aus und übernahm die Seemacht über den Indischen Ozean, die Karibik, das Mittelmeer und die kritischen Seepassagen am Kap der Guten Hoffnung.